Dichterseminar
Wir 14 UnDichter trafen uns zu einem Seminar auf dem Campingplatz „Sonnenland“ nahe Moritzburg. Die meisten waren eigens aus Berlin angereist. Der Tagungsort war ein Bungalow, in dem die Mehrheit wohnte, während es einige vorzogen zu zelten. Die Eindrücke der Mitstreiter reichen von „wunderbar“ über „war doch sehr interessant“ bis zu „ziemlich verbummelt“. Selten waren wirklich alle dabei und wem nicht danach war, Nächtens nachzuholen, was am Tage verpasst wurde, hat einiges verpasst. Liane machte am Freitag gleich den Anfang, was ja immer bedeutet, dass man sich am meisten den noch scharfgeschliffenen Klingen der Kritik aussetzt. Erfahrungsgemäß lässt die Kritikfreude dann im Laufe des Geschehens nach und es wird eher mit den Füßen abgestimmt, ob man diesen in die Runde setzt oder etwas anderem nachgeht. Das Vorbereitungskomitee, bestehend aus den drei Dresdner Mitgliedern des Vereins, hatte einen Plan an die Wand geheftet und sich dankenswerter Weise um die ganze Organisation gekümmert. Aus dem Erheben und Frühstücken wurde dann am Sonnabend allerdings eine unvorhergesehene Zweistundenaktion, so dass alles etwas ins Schleudern geriet. Gerhard hatte sich der Mühe unterzogen, sich Gedanken über das Thema Sprache zu machen. Selbst aus einer beachtlichen Sammlung von Fischdosendeckeln aus DDR-Zeiten wusste er Erwähnenswertes zu schöpfen, hatte nämlich eine Geschichte parat, wie diese mal entstanden ist. Das Ziel der Sprache sei die „Beeinflussung von Personen“, was dann abends noch mal zur Sprache kam, aber als Manipulation, die freilich verurteilt wurde. Es konnten natürlich auch die Lieblingsworte, wie „Schreibanlass“, „Bedeutungshöfe“ und „Schreibhaltung“ nicht fehlen. Die sprachliche Mitteilung (eigentlich nur eine Information) sollte aber auch der Unterhaltung dienen (insofern das nicht auch eine Manipulation wäre). Selbst die Mimik und Gestik, also die Körpersprache, kann man unter dieses Thema fassen. Als Kontrastprogramm hatte er dann ein Gedicht mit dem Titel „Sprachlos werden“, das sofort seine Liebhaber hatte.
An meinem Beitrag über Adaptionen entbrannte eine heiße Diskussion über das, was ich in Werke anderer hineinlese. Ich hatte nicht gerade das Gefühl, dass er eine Anregung zum eigentlichen Thema gewesen wäre. Als ich dann die Hölderlinschen Verse „Froh der süßen Augenwaide, wallen wir auf grüner Flur“ mit Goethes „Walle, walle manche Strecke“ zusammenbrachte und zu allem Übel auch noch Jungfrauen ins Spiel brachte, war dann bei den meisten das Maß voll.
Eine Geschichte einer Bildhauerin von bestrickender Schlichtheit hatte Sibyll auf Lager, deren katastrophales Ende aber ein bisschen im Dunkeln blieb. Frank S. hatte seine Lebensgeschichte weiterentwickelt idem er sein Ich in einen Vogel verbrämte, so dass darin schon das Potenzial eines poetischen Romans erahnt wurde und er Beifall erhielt. Andreas brachte Sonnabend Nacht sowohl sein Prosastück „Wie soll ich es sagen“, das zwar schon im GeWa 111 stand, aber man immer wieder gern von ihm selbst interpretiert hört. Er war durch eine Arbeit „Examination oder: Wie soll ich es sagen“ dazu angeregt worden, las diese Quelle auch vor und ließ die Anwesenden, die etwas angestrengt (es war nach Mitternacht) zugehört hatten, rätseln, von wem er sei. Da kam dann schon mal der Tipp Hölderlin, also durchaus ein Kompliment an die sich als Manuela Gerlach entpuppende Autorin. In unserem (darf ich das als Pluralis Majestatis entlarvte Pronomen hier ausnahmsweise mal verwenden?, das doch eigentlich nur Gemeinschaftssinn sein möchte) weitgefassten Sinn von Adaption war selbst dieser Text von Andreas also Adaption. Er hat ein Kunstwerk mit einem Kunstwerk beantwortet. Sein eigenes wird viel höher bewertet und entspricht also viel mehr UnDichter-Geschmack, aber sollte man dann den Ausgangspunkt der verschollenen Manuela nicht vielfältiger nutzen, denn Andreas hat nicht die eigene, sondern ihre Geschichte so gerührt. Könnten wir auf diesem Wege nicht erfahren, an welcher Stelle Andreas berührt sein möchte oder zu berühren ist, können wir uns dieses Gefühlserlebnis nicht auch selber erschließen? Nicht jeder hat die Sehnsucht nach Disziplin, sonst würde sie wohl eingehalten, nicht jeder sucht einen Auftrag des Kollektivs, sonst würde man sich vielleicht öfter selbst einer der anstehenden Aufgaben aktiv widmen oder solche definieren helfen. Immerhin bescheinigt uns Frank, der ja noch nicht so lange dabei ist, eine „richtig gut harmonierende Gruppe“ zu sein. Das Problem der Kollektivität ist ganz nah dran an uns und ein erster Schritt wäre vielleicht, wenn jeder, der sich dazu in der Lage sieht, eine Adaption auf den Text der verschollenen Manuela schreibt. Magdalene brachte das noch unveröffentlichte Gedicht „Geheimnisse“, das einen starken Absolutheitsanspruch an die Tatsache anmeldet, dass wir eigentlich nichts wissen, was für manchen Geschmack eben zu absolut war. Da nur noch ein kleiner Kreis anwesend war, wird man sich freuen können, es im nächsten GeWa wiederzufinden und sich seine eigenen Gedanken dazu machen zu können.
Liane stellte am Sonntag die Produktion einer kleinen CD vor, die in ihren Sprachmelodien so schön ist, dass einem der Sinn gar nicht danach steht, diesen kompakten Genuss durch eventuelle Geräusche oder Musik zu unterbrechen. Es wurden gleich Pläne geschmiedet, ob man etwas ähnliches nicht vom ganzen Verein statt einer erneuten Anthologie produzieren könnte, aber die Vielfalt der Stimmen, die sonst so bereichert, könnte einem solchen Vorhaben im Wege stehen, weil dann die dynamische Harmonie, die das Eine-Frau-Werk von Liane, gesprochen von ihr selbst und Andreas, auszeichnet, nicht mehr gegeben wäre.
Als letzten Beitrag habe ich die Eindrücke aus einem Buch über Janusz Korczak vorgetragen, die sich kritikwürdiger Weise gleich um zwei Themen drehten: Die Rolle der Kollektivität und der Lebensenergie in der Erziehung, denn Korczak war nun mal Pädagoge, und die Rolle des Wahnsinns für die Gesellschaft und das Kunstschaffen. Da sich die Diskussion auf ein Minimum beschränkte, konnten wir auch nicht bei der Frage anlangen, ob denn nun auch die UnDichter ein Kollektiv sind. Andreas hielt den Korczak-Aufsatz für ein Manifest.
Werfe ich oder werfen wir
das Wir in die Waagschale
die gar nichts zu wiegen hat
eher erwägen möchte
erwägen wir das Wir?
Nähern wir uns dem neben uns
versuchen wir seinen Geist zu atmen?
Versuchen wir als UnDichter zu antworten?
Wusstet ihr schon?
Das wäre ein Anfang – die Adaption!
Im Waltersdorfe 22.8.2012