Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Dramenverdächtiger Roman

Es muss eine seltsame Romantik sein, der Victor Hugo zuzuordnen ist, eine französische eben, die sich nicht gerade in Rittertum und Wandergeschichten nach dem Vorbild des Wilhelm Meister von Goethe erschöpft. Man kann sie aber wiedererkennen an dem verzweifelten Versuch etwas Dramatisches auf die Beine zu stellen und an der Bühne kläglich zu scheitern. Trotzdem ist dieser Gedichtschreiber und Romanautor verehrt, wie es bei uns für Goethe üblich geworden ist. Du hast mir aus seinem Romanschaffen „Die lachende Maske“ empfohlen, die man heute nur noch in älteren Ausgaben der sechziger Jahre findet, denn Hugo wurde in der DDR verehrt als zwar widersprüchliche Gestalt des 19. Jahrhunderts, der den Besitz zwar notwendig befand, aber dessen Verwendung für gemeinnützige Zwecke er im Vordergrund sah.
Diese Ideale, die er sich zurechtgelegt hatte, stellte er überwiegend in historischen Romanen dar und ein solcher ist auch die lachende Maske. Der Roman nimmt die Handlung auf mit dem Zurückstoßen eines Jungen von etwa zehn Jahren bei der Abfahrt eines Schiffes, mit dem sog. Comprachicos einige Jahre nach der englischen Revolution zu fliehen versuchen. Das waren Verbrecher, die Kinder verstümmelten, um sie auf Jahrmärkten auszustellen, und denen der Boden in England, das inzwischen eine Restauration erlebt hatte, zu heiß wurde. Der Halb­wüchsi­ge muss sich nun in Schnee und Eis eine Bleibe suchen und findet unterwegs noch ein Baby bei einer toten und schon halb im Schnee vergrabenen Frau.
Beide kommen bei einem fahrenden Philosophen Ursus unter, der einen kleinen Wohnwagen besitzt und sein Leben mit einem zahmen Wolf teilt. Ursus bemerkt, dass es sich bei dem Kind um so ein entstelltes handelt, auf dessen Antlitz ein ewiges Grinsen liegt, das die Ärmsten, die dann zu Zuschauern der von Ursus entworfenen Stücke werden, selbst immer in Heiterkeit ausbrechen lässt, so ernst die dargestellte Geschichte auch sein mag. Fünfzehn Jahre später, als das Baby zu einer reizenden Sechzehnjährigen herangewachsen ist und Gwynplaine, der Junge, zu einem jungen Mann, bilden die vier (den Wolf mitgerechnet) eine einträgliche Compagnie, die durch die Orte tingelt und überall großen Erfolg hat, so dass es fast als Glück erscheint, dass die Comprachicos den Jungen so entstellt haben.
Dann unternimmt der Autor einen Ausflug in das Königshaus, wo die Königin Anna regiert (es ist der Beginn des 17. Jahrhunderts). Auch wird das Schicksal eines Pairs beleuchtet, der mit den Republikanischen sympathisiert hatte und statt die Restauration mitzumachen, lieber in ein Exil ging und dort noch eine legitime Frau ehelichte. Mit legitimen und illegitimen Nachfolgern gibt es dann auch einige Verwicklungen, weil sowohl der König einige Bastarde in die Welt gesetzt hatte, eine ist die Herzogin Josiane, sondern auch der emigrierte Lord mit Pairswürde, der inzwischen verstorben war, einen illegitimen Sohn hatte und die beiden in England einander versprochen waren. Sowohl die Königin als auch ihre Halbschwester Josiane hatten einen verschlagenen Berater, der vor allem Josiane auf jede Weise schaden wollte. Von der Königin hatte er das Privileg des Flaschenpostöffnens erhalten und in einem romanhaften Vorkommnis wurde nun just die Flaschenpost gefunden, die die reuigen Sünder auf dem Schiff nach einem verheerenden Sturm verfasst hatten, eben von diesem Schiff, mit dem der Junge nicht hatte mitfahren dürfen.
Diese Flaschenpost enthielt die Nachricht, dass der verstümmelte Gwynplain der rechtmäßige Nachfahre des renitenten und emigrierten Pairs war und man ihn hat entstellen lassen, dass man die Pairswürde, die den Königen ohnehin immer ein Dorn im Auge war, auf diese Weise versie­gen lassen könnte. Nun aber ergab sich für den Berater der Hoheiten und die Königin selbst die neue Möglichkeit sich an Josiane zu rächen, Gwynplaine wieder in seine Ehren einzusetzen und ihn Josiane anstelle seines Halbbruders, den illegitimen Sohn des verstorbenen Exil-Pairs, Josiane zu versprechen und sie somit mit einem Ungeheuer zu verheiraten. Josiane hatte Gwynplaine aber schon mal in einer Vorstellung erlebt, sich stante pede in ihn verliebt und wollte gerade ihrer Neigung nachgeben, sich an einen Subalternen wegzuwerfen und ihre Jungfräulichkeit dreinzu­geben. Gwynplaine war aber in das zur Schönheit herangewachsene Findelkind Dea verliebt, diese Liebe war aber von ätherischer Art geblieben, während ihn die Herzogin Josiane durch ihren Besuch in der Schaubude gründlich verwirrt hatte.
Gwynplaine, der sein Leben lang das einfache Volk unterhalten hatte und diesem verbunden war, wurde nun aber in Versuchung geführt, forthin das Leben eines reichen Pairs zu führen und schlägt ein, als ihm das Schicksal dafür die Hand bietet, vergisst also auch auf einen Moment seine Liebe zu der blinden Dea. Eigentlich schwebt er nur zwei Tage in diesen Höhen, aber das genügt, dass Dea dem Tode nahe kommt und sie tatsächlich stirbt, als er sich endlich entschließt, doch wieder zu ihr und seinem alten Leben zurückzukehren. In diesen zwei Tagen erlebt er nicht nur, wie sich Josiane in dem Moment von ihm abwendet, als sie erfährt, dass er gar kein subalternes Ungeheuer mehr ist, sie also die Standesgrenzen mit ihm gar nicht überschreiten kann, sondern auch, wie das Oberhaus ihn auslacht, als er zu einer flammenden Rede zugunsten der Armen und Entrechteten anhebt, aber seine Erscheinung eine weitaus dramatischere Wirkung hat, als auf das Volk, wo die Heiterkeit in Anbetracht der sonstigen Aussichtslosigkeit eher legi­timiert ist, er im Oberhaus erst richtig zum Hanswurst wird.
Ursus und sein verbliebener Anhang waren inzwischen auf Betreiben der Intriganten des Landes verwiesen worden, aber Gwynplaine gelangt noch auf deren Schiff nach Rotterdam, kommt aber gerade nur noch recht, um Dea sterben zu sehen und nimmt sich dann selbst das Leben, indem er sich ins Wasser stürzt.
Als ich dieses Ende las, kam mir sofort der Gedanke, dass das eher der Stoff für ein Drama sei, als für einen Roman. Einzig die Detailverliebtheit des Autors lässt ein solches Vorhaben als aberwitzig erscheinen, denn er beschreibt die Inauguration eines Pairs in das Oberhaus so, als wäre er des Öfteren bei solchen Zeremonien dabei gewesen. Und die Schaubühne als Theater im Theater wäre auch ein etwas aussichtsloses Unterfangen, so dass man den Hugo wohl ruhen lassen muss oder der Generationen harren, die ihn vielleicht mal wieder ausgraben und seinen innerlichsten Wunsch wahr machen, dass es eigentlich hätte ein Drama werden sollen.
C.R. 29.9.2012
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