Mit erstaunlich wenig Toten kommt Friedrich Hebbel in seinem Drama „Demetrius“ aus. Auch die Zahl der Liebschaften des Demetrius begrenzt er auf die eine Beziehung zu Marina. Xenia kommt nur ganz am Rande vor, als Marina sie sich zur Gesellschafterin ausbedingt. Aber aus der einen Mutter Marfa werden gleich zwei. Es kommt noch die richtige Mutter von Demetrius Barbara hinzu, die sich an den Zaren herandrängt, als er sich dem Volk zeigt und eine Audienz erwirkt.
Der eine Tote ist in dieser Version Odovalski. Als Demetrius Marina die Hand küsste, denn er war als Junker in aussichtsloser Liebe zu ihr entflammt, entschuldigt sich Odovalski bei ihr mit den Worten: „Verzeiht, dass wir den Knecht nicht besser unterwiesen.“ Das reichte, dass Demetrius den Degen zückte und den Beleidiger forderte. Der hochfahrende Stolz, der sich schließlich in der Tötung Odovalskis äußert, gilt hier nur als Beweis des herrschaftlichen Blutes des Demetrius. Bei Hebbel kam Demetrius schon sehr jung an den Hof des Mniczek und wuchs mit Marina wie ein halber Bruder auf. Als Verliebter fand er dann eine Schleife von ihr, die er weder küsste noch an der Brust verwahrte, weil er sich ihr gegenüber nicht mehr erlaubt als gegen Marina selbst.
Dann baut er eine Verzögerung ein, dass sich der Mönch Gregori und der Legat (Kardinal) unterhalten, die offenbar schon lange den Plan hegen, dass sie Demetrius an die Macht bringen wollen. Erst später stellt sich heraus, dass Gregori ein Jesuit ist, der die Absicht hat, den katholischen Glauben nach Russland zu exportieren und das große Schisma zu beseitigen, wobei im Hintergrund das kleine Schisma eine Rolle spielt, das Luther verursacht hat. In Deutschland genüge es allerdings den Fürsten zu gewinnen, weil die Völker ihm zum Himmel und in die Hölle folgen müssen. Der Faden ist bereits gesponnen, die Spur des Demetrius in Russland gelegt. Einem Fährmann hinterließ er statt des Fährgeld einen Zettel, der diesem eine Million versprach, wenn er erst Zar ist. Der Legat möchte dem Papst eine Axt schmieden, wie sie dieser noch nie in den Händen hatte. Er tischt dem Gregori die Geschichte auf, dass die Knaben vertauscht wurden, weil es klar war, dass Feodor, der neben seinem Wüterich von Vater als blasser Schatten zitterte, kein langes Leben versprach, so dass Dimitri die Krone schon im Mutterleib sicher war. Es stand nun fest wie der Planetentanz, dass dieser seinem Bruder im Tode vorausgehen oder unmittelbar folgen musste, denn er vertrat Boris den Thron. Die Grausamkeiten Iwan des Schrecklichen werden benannt, insbesondere dass er seinen eigenen Sohn mit dem Hammer umbrachte und die Bojaren köpfte, aber dennoch die blöde Menge ihn beweinte und sogar zurückersehnte. „Der Zar von Moskau tut, was ihm gefällt/ Und Gott allein ist mächtiger als er.“
Demetrius wird zunächst von Gregori bedeutet, dass er Zarewitsch ist. Demetrius ist nicht lange erstaunt, sondern zählt seine Eigenarten auf, die ihm andere übelnahmen, und das ist fast alles, doch so setzen seine „Fehler Kronen auf und hüllen sich in Purpurmäntel ein.“ Mniczek holt Marina herbei und huldigt Demetrius, der ihn aber weiter als Vater sehen möchte. Marina bittet darum dann auch weiter seine Schwester sein zu dürfen und der Zariza, wenn`s verstattet, die Hand küssen zu dürfen, aber Demetrius entgegnet, dann könne sie die eigene Hand noch einmal küssen. Darauf sie: „Du meinst, wer Russland hat, der hat auch mich. Nun Moskau wiegt.“
Das alles ist nur das Vorspiel, die eigentliche Handlung beginnt nicht wie bei Schiller im Reichstag, sondern im Kreml. Sie versuchen dort ein Manifest zu verlesen, das von Dimitri stammt. Schließlich muss es Boris selbst zu Ende lesen, obwohl er nach einer anderen Quelle Analphabet war. Sie haben dagegen als Gift für diese Mausefalle das Protokoll von Uglitsch, woraus hervorgeht, dass sich das Kind in einem Anfall von Epilepsie selbst mit dem Messer tötete. Aber das Gerücht ist stärker, dass es zwei Kinder gegeben hätte, die gleich nach der Geburt vertauscht worden wären, also nützt ihnen das Papier nichts, denn sie kommen nicht an gegen die öffentliche Meinung, gegen den Glauben des Volkes. Dann folgt eine Reminiszenz an die zögernde Machtergreifung des Boris Godunow, der sogar lobende Worte für Iwan den Schrecklichen findet, der Gott dem Herrn wie keiner diente, aber sich durch die leidige Gewalt verführen ließ. Dann lässt er noch dessen Sohn Feodor vorüberziehn, der vor lauter Lauterkeit verglühte.
Das Manifest hat folgenden Wortlaut:
Von Gottes Gnaden, Wir, Demetrius,
entbieten dem betrognen Volk der Reußen
als angestammter Zar und letzter Sproß
aus Ruriks Blut den väterlichen Gruß.
Wasmaßen ein verwegener Betrüger,
den Ivan, Unser hocherlauchter Vater,
vom Staube aufgelesen, klug und schlau
sich alle Würden unsres Reichs erkrochen
und endlich gar den Thron, der Uns gebührt,
und der durch Meuchelmord erledigt schien,
bestiegen und bis diesen Tag befleckt;
als tun Wir hierdurch kund, dass Wir noch leben,
durch Gottes ganz besondre Fürsehung
dem Mörder an der Wiege schon entrissen,
und dass wir kommen Rechenschaft zu fordern
um Hochverrat von Boris Godunow.
Ermahnen Unsre Lieben und Getreuen
zugleich, sich Unsren Fahnen anzuschließen,
sobald sie können, und verwarnen jeden,
Uns Widerstand zu leisten, wenn er nicht
gezwungen ist durch äußerste Gewalt.
Geloben auch mit unserm Zarenwort
so überschwänglich gnädig Unsern Freunden,
als Unsern Feinden fürchterlich zu sein.
Zwölf neue Fürsten werden wir ernennen,
wenn wir in Moskau sind, und keiner soll
so reich und mächtig sein, dass wir ihn nicht
noch doppelt reicher, doppelt mächt`ger machen,
wenn er sich ein Verdienst um Uns erwarb.
Wornach sich männiglich – gegeben Krakau
Es wird dann der Sachverhalt diskutiert, dass Iwan vielleicht zwei der Söhne hatte, einen mit Marfa und einen mit einer Magd, und dass sie zusammen aufwuchsen und so eine Verwechslung vorliegen könnte.
Dann unterhält sich Boris Gudunow mit den Bojaren und dem Patriarchen Hiob darüber, dass er sich die Krone neunmal hat bieten lassen und sie immer noch nicht annahm. Die Leute hätten gerufen: „Wir sind verloren, wenn Boris nicht des Reiches sich erbarmt.“ Man würde ihn den Kronverweigrer nennen, der unter tausend Kronenräubern steht. Letztendlich hat ihm es der Khan der Goldnen Horde abgezwungen, man konnte Russland nicht schmählich den Tataren überlassen.
Es folgt die Marfa Szene ähnlich wie bei Schiller. Der Fischer allerdings, der die Nachrichten vorab bringt, bleibt aus. Hiob lädt sie zunächst nach Moskau ein, dort wieder zu wohnen. Sie bringt den Wunsch zum Ausdruck, dass sie noch einmal am Sarge ihres Sohnes beten möchte. Um die Hintergründe zu erhellen, tritt Ortrepiep auf, ein ehemaliger Mönch, der jetzt in Diensten von Demetrius steht. Es wird von Ortrepiep die Version ausgebreitet, dass das Kind bereits nach der Geburt vertauscht wurde, was aber einigermaßen unwahrscheinlich ist, da Iwan da noch lebte und herrschte. Das hätte wohl keiner gewagt.
Zweiter Akt: Das Feldlager des Demetrius mit Poniatowski, Mniczek und Ortrepiep, der wohl den entlaufenen Mönch Otrepiew darstellen soll und der ja Marfa mitgebracht hat, die natürlich nicht gleich auftritt, sondern erst wird Otrepiew seine Frechheiten los. Es stellt sich heraus, dass sie nicht freiwillig gefolgt war und Otrepiew wird zur Rechenschaft gezogen. Demetrius hätte lieber erst das Gottesurteil durch das Schlachtenglück sprechen lassen und sie dann nach Moskau geholt: „Sonst wird die Mutterliebe erst geschenkt/ und dann verdient, ich will sie erst verdienen,/ Vielleicht, dass Du sie mir zuletzt auch schenkst.“
Darauf Marfa von seiner Erscheinung überwältigt, aber dennoch zweifelnd:
Wär`s möglich? Wär` mir an der Todespforte
ein Glück beschert, das alle meine Schmerzen
schon durch die bloße Hoffnung überwiegt?
Ich wag es nicht zu glauben, doch das fühl ich:
Wenn ich einen Sohn, anstatt ihn zu beweinen,
im sel`gen Traum des einst`gen Wiedersehns
nach Mutterart mit all den Eigenschaften,
die man am Jüngling und am Mann verehrt,
verschwenderisch geschmückt und jeden Tag
mit einer neuen ihn verherrlicht hätte,
er könnte jetzt nicht edler vor mir stehn!
Und das ist wahr, aus diesem Auge blitzt
im Zorn der grimmige Kometenfunke,
vor dem die Welt so oft zusammenfuhr,
wenn Iwan finster blickte, ja, es sind
dieselben Züge, ist dieselbe Stimme –
was hält mich ab, sein treues Ebenbild
an meine Brust zu ziehn?
Mniczek befallen Zweifel, ob er sein Geld an ein aussichtloses Projekt verwendet hat, dann tritt Shuisky auf und tritt über zu Dmitri. Die Äbtissin bespricht sich mit Marfa, wo diese ihre Zweifel im Privaten äußert.
Das Folgende sei nicht mehr in der Ausführlichkeit wiedergegeben, denn in Moskau ergibt sich ein Sarggerangel. Marfa betet wirklich am Sarg ihres Kindes, was natürlich ruchbar wird. Mniczek, der immer um Demetrius ist wie eine Ordonanz will den Küster bewegen, den Sarg des Kindes herausräumen zu lassen, was die Mutter nicht recht verhindern kann, ohne sich offenbaren zu müssen. Aber als dann auch Demetrius kommt um am Sarg seines „Vaters“ zu beten, gibt er den gleichen Befehl, weil er meint, dass sich das arme Kind wegen des irrtümlichen Mordes diesen Platz verdient hätte.
Dann kommt im vierten Akt eine liebenswerte Szene, wo Marina den Krönungsschmuck beschreibt und die für sie unerträglichen Sitten. Stiefel, wie für einen Riesen. Ein Suppennapf, aus dem sie essen, groß wie ein Teich, indem sich die ganze Pflanzenwelt des Reiches wiederfand. Dann gab es Fisch von jeder Sorte, wo nur der Walfisch fehlte. Ein Gottesdienst so endlos, dass die Welt dreimal entstehen und vergehen könnte. Das Gewand aus echtem Hermelin, das man unter dem Kinn gürten muss, so dass man einer Pyramide gleicht. Und der Kokoschnik ist ein Kopfputz wie ein Topf, mit Perlen und Grananten besetzt, für einen Juden, der ihn etwa findet, von höchstem Wert, für die zwar, die das Haar ihm opfern soll, nicht ganz so hoch im Preis. Dazu wird das Haar zehnfach um den Kopf gewickelt, wie auf einen Rocken, und wenn`s zu voll dann muss die Schere her, deren Existenz in Moskau nach Maßgabe der Bärte und der Fingernägel überrascht. Das Todesurteil des Schuisky wird unterzeichnet unter dem Einfluss von Marina, die ihn dann begnadigen will. Schuisky hatte ja Demetrius im Felde, als er zu ihm überging, gleich die Forderung gestellt, dass sein Sohn freien dürfe, was ihm schon Godunow abgeschlagen und Demetrius hatte abweisend reagiert und ihn auf den Staatsrat vertröstet.
Gregori besucht ihn und bittet um neue Glocken, er entwirft dabei die Vision der geeinten Kirche. Das bleibt aber im Folgenden ohne weitere Konsequenz.
Dann kommt die Barabara Szene, die sehr stark ist, weil sie mehrmals geschworen hat, dass Demetrius wirklich Iwan Grosnys Sohn ist und es auch in dieser Szene sich wieder so anlässt, dass zunächst dieser Umstand hinterfragt wird und sie mit ja antworten kann. Bei der Mutterfrage allerdings kann sie nicht mitgehen, was ihr sehr leid tut, denn sie lässt sich von Mniczek als Abgesandte der Schuiskys denunzieren, obwohl dem gar nicht so ist. Darauf Demetrius: Dies war die erste Lüge, die du sprachst.
Der fünfte Akt ist unvollendet, Schuisky bricht ab mit: Noch wankte ich. Es ist immerhin klar, dass diese Szene den von Schuisky organisierten Aufstand meint. Die Leute versammeln sich und keiner weiß warum. Der Akt trägt schon alle Zeichen der Verwirrung, so dass es nicht wundert, dass das Ende fehlt. Schuisky kniet vor der Mariensäule nieder und betet irgendetwas, diese schüttelt den Kopf, ohne dass er es sieht. Dann geht es um die Interpretation von diesem Vorgang. Das gibt nichts mehr her.
Ob Hebbel also einfach die Lust an dem Stück verloren hatte, oder ihm wirklich das Stück unter den Händen weggestorben ist, man weiß es nicht. Jedenfalls ist dieses Stück ein Kampf um das Ende und ich habe auch kein gutes Ende bis jetzt.
C.R. 26.11.2008 vollendet 26.12.2008