Hundert Jahre
In „Hundert Jahre Einsamkeit“ von Garcia Marquez wird der Großvater, der nicht mehr alle Sinne beisammen hat, regelmäßig an einen Baum auf dem heimischen Hof gefesselt, dass er keinen Unsinn macht. In Jonas Jonassons Buch „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ macht sich ein Mann, der über eine lange Lebensgeschichte verfügt und mittlerweile in einem Altersheim untergebracht ist, anlässlich seines Jubiläums auf den Weg und stürzt sich in Abenteuer. Die ihn suchen, vermuten, dass er „verwirrt“ gewesen wäre und wenn sie ihn kriegen sollten, würden sie ihn zu seinem Schutz zwar nicht an einen Baum binden, dafür aber wegschließen.
Meine Rückkehr zur Literatur, die ich erst mit einer immerhin schon zweihundert Jahre zurückliegenden Periode der Napoleonischen Kriege und der Romantik in Deutschland begann, werde ich nun wohl oder übel fortsetzen müssen, denn in der Physik ist erst mal Sommerpause und im Wintersemester steht meistens nicht so viel an, also fortsetzen mit dem Studium dessen, was Hundertjährige noch so auf die Beine stellen, dass sie noch für so etwas wie einen Krimi gut sind.
Das was an Lebensenergie gesund oder schon krankhaft ist, entscheiden wie immer diejenigen, die damit umgehen müssen. Wenn da einer zu wenig pflegeleicht ist, dann verabreicht man Dopaminblocker, also Substanzen, die die Lebensenergie nehmen. Das ist nicht mehr nur im Alter verbreitet, wenn Leute etwas wunderlich zu werden beginnen, sondern wird auch immer verbreiteter bei Kindern angewendet, die ja auch manchmal dazu neigen aus der Art zu schlagen.
Es gibt immer wieder Fälle, bei denen sich Menschen weigern, sich derart in der Lebensenergie einschränken zu lassen. Man kann sie immer wieder in Nervenkliniken erleben, wenn man sich selbst dreinschickt, aber immerhin wahrnehmen kann, wie es ist, wenn man es nicht tut. Das hundertjährige Jubiläum dieser zweifelhaften Medikamente können wir noch nicht begehen und wer weiß, wie die Welt dann aussieht, wenn es dann so weit sein wird. Welche Biographien werden wir dann haben. Werden solche gebremsten Persönlichkeiten im Alter noch Gedichte rezitieren können, von alten Zeiten schwärmen und Lieder zum Besten geben?
Wir erleben eine Renaissance des Alters, weil man da in einer Rückblende immer noch Unerhörtes zu hören bekommt, sie sich durchbeißen mussten und der Rest der Lebensenergie, der ihnen im Alter noch geblieben ist, allemal interessanter ist als die interessanteste moderne Biographie.
Wir erben nur Scherben
aus den Spiegeln der Zeit
Sie machen aus einer Sonne
hundertfach Sonnen
Sie machen aus Erlebnissen
Unvergessliches
Unvergleichliches
Wonnen der Liebe
hundertfach durchlebt
hundertfach wiedergegeben
Höre nur, höre nur zu
denn aus den Scherben
Leuchtest auch Du
Wofür nur sparen wir uns auf?
Was wird es von uns zu erzählen geben?
Wozu die vielen gelebten Leben?
Warum nur der ganze Weltenlauf?
Christian Rempel,
Im Waltersdorfe 16.7.2013