Stimmgabel aus Glas?
Töne kann man ja auf verschiedene Weise erzeugen, so zum Beispiel mit einer schwingenden Saite oder eben mit einer Stimmgabel. Bei letzterem hat man es mit einem regelrechten bauphysikalischen Problem zu tun. Das ist nämlich im Kleinen, was in der Bauphysik ein einseitig auskragender Balken ist. Bei einer Saite tritt als Oberfrequenz immer die Doppelte ebenfalls auf und das kann stören. Bei der Stimmgabel dagegen ist die erste Oberfrequenz etwa das Zweieinhalbfache, was den Grundton stärker hervortreten lässt.
Nachdem wir erst mit Lichtfasern experimentiert haben, wo die charakteristische Länge etwa zehn Millimeter ist, sind wir dann zu einem Glasstab übergegangen, der fünf Millimeter Durchmesser hat, wie er etwa zum Rühren verwendet wird. Dieser Übergang war notwendig, weil es uns nicht gelungen ist, einen Laserpointer in eine Faser nennenswert einzukoppeln. Auch ist die Feinabstimmung der Länge einfacher, wenn die auskragende Länge größer ist.
Die Mathematik, die dahinter steckt, ist relativ aufwändig und wir sind an einem Abend alles durchgegangen, haben alle bekannten Materialwerte von Glas herausgesucht und das Ergebnis war, dass für den Kammerton (f=440 Hz) die freie Länge des Glasstabs etwa 92 mm sein sollte.
Einen weiteren Tag haben wir darauf verwendet, wie man den Stab überhaupt zu Schwingungen anregen kann, haben ihn angeklopft und mit einem Geigenbogen experimentiert. Zum Schluss sind wir aber wieder auf die ursprünglich vorgesehene Selbstanregung zurückgekommen, wenn man nämlich den optisch erzeugten Ton verstärkt, regt der Schall seinerseits die mechanische Schwingung wieder an. So kommt man dann zu einem ziemlich lauten Dauerton. Man kann parallel ein PC Oszilloskop anschließen und das Frequenzspektrum sichtbar machen. Durch Verschieben der Klemmstelle kann man die Apparatur dann so einstellen, dass sich wirklich der Kammerton ergibt.
Dann braucht man nur noch den Zollstock heranzuhalten und kann die freie Länge des Glasstabs bestimmen. Diese beträgt, nicht wie errechnet 92 mm, sondern 75 mm, woraus man mit hoher Genauigkeit den Elastizitätsmodul des Glases berechnen kann. Wir erhalten nicht den Tabellenwert von 71 GPa, sondern 31 GPa. Da die Länge des Stabes in den Elastizitätsmodul zur vierten Potenz eingeht, wirkt sich unsere geringe Abweichung in der Länge von etwa 15% so stark aus, dass wir eine Abweichung des Elastizitätsmoduls von etwa 60% haben.
Betrachtet man den Fehler, den wir bei der Längenbestimmung haben, der bei etwa einem Prozent liegt, können wir den Elastizitätsmodul immer noch auf 4% genau bestimmen. Die von uns festgestellte Abweichung von fast 60% liegt also weit oberhalb dieser Fehlergrenze. Es kann natürlich sein, dass für Rührstäbchen nicht gerade das hochwertigste Glas verwendet wird, so dass man die Abweichung auch als Qualitätseinschränkung werten kann. Immerhin haben wir ein einfaches Verfahren entwickelt den Elastizitätsmodul praktisch zu bestimmen und nebenbei haben wir noch ein Verfahren, den Kammerton laut und deutlich darzustellen – eine Verbindung also von der Kunst der Musik und der Physik. Was könnte man sich mehr wünschen an einer musikbetonten Schule mit einer starken naturwissenschaftlichen Komponente.
Christian Rempel im Waltersdorfe
15.12.2013