Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Kolumne KW52 „Das war 2013 – für mich“

Das war 2013 – für mich

 

Von Thomas Bernhard, dem österreichischen Publikums- und Staatsbeschimpfer, der ob seiner verschachtelten Sätze und Skandale geliebt wurde, habe ich gerade noch auf den Weg bekommen, um wie viel anregender doch das Stadtleben gegenüber dem Landleben ist, das nichts zu bieten habe als den Geist zu ruinieren. Er ist stärker, wenn er von seiner Position vom Leder zieht, wenn es um ihn selbst geht, als in der Beschreibung eines Freundes, eines Neffen des Philosophen Ludwig Wittgensteins namens Paul, der immer mal wieder in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wurde, um dann nach Wochen gebrochen, depressiv entlassen zu werden, noch depressiver als es Bernhard war und auch depressiver als ich es selbst je erlebt habe.

Bernhard war zeitlebens unterwegs hin zum Tode, wegen eines Lungenleidens, das fast zu seinem Bedauern ein stärkeres Alibi ist, sich zeitlebens mit dem Tod zu beschäftigen, im Rückblick sogar ganze Lebensgeschichten als ein langsames Sterben zu definieren. Zwar kann er sich selbst auch neurotisches Verhalten zubilligen, wie die Krankheit, immer wieder in Kaffeehäuser gehen zu müssen, nur unterwegs und nie am jeweiligen Reiseziel glücklich zu sein oder alles um sich beschämen zu müssen, aber zu einer richtigen Verrücktheit, gar zum Wahnsinn als deren verschärfte Form, reicht es bei ihm nicht hin. Nicht zu unterdrückende Selbstmordgedanken kann man wohl auch dazu rechnen.

Heute erreichte mich die Nachricht, dass ein Bekannter nun doch, kurz vor Vollendung seines 90. Lebensjahres, in Magdeburg verstorben ist. Sollte man ab 60 nicht auch ab und an an so etwas denken, an den eigenen Tod. Wie man aber die Lebenskraft mehr und mehr schwinden sieht, so fehlt es einem aber auch immer mehr an Energie, den eigenen Tod zu bedenken oder sogar herbeizuführen. Ab sechzig will man nicht mehr alles selber machen, so Bernhard, also auch nicht darauf hinarbeiten, seinem Leben ein Ende zu setzen, wenn man mal von ungesunder Lebensweise absieht. Sterben aus Bequemlichkeit, wenn das so einfach wäre, könnte man viele nicht mehr zu den Lebenden rechnen.

Außer in den Bibliotheken, die man sich doch schon weitgehend via Internet ins Haus holen kann, habe ich schon lange keine geistige Anregung mehr aus einer Großstadt gezogen. Der Geist scheint sich aus ihnen schon lange verzogen zu haben. Man kann sich fragen, wohin er sich verzogen hat. Auf das Land etwa? Das könnte man laut der Erfahrungswelt von Thomas Bernhard ausschließen. Dann hat er sich vielleicht überhaupt verzogen?

In den Wintermonaten ist uns naturgemäß der Geist wieder etwas näher, als wenn vieles andere zu tun ist. Dabei müssen wir nach dem Gesagten immer gewärtig sein, dass diese winterliche Lebensphase auch der Weg hin zum Tode sein könnte. Aber schieben wir diesen Gedanken lieber beiseite. Als ein Land, das keine Geschichte hat und demzufolge auch keine Zukunft, bezeichnet Bernhard Österreich. Wenn man aber mit dem Staat abgerechnet hat und vielleicht auch mit der Nation, ist man selbst es, der das Geschichtsbuch vollschreibt oder weiß lässt, wie es Jahrhunderte im Mittelalter waren, von denen man heute sogar der Meinung sein darf, es hätte sie gar nicht gegeben.

Wenn sich der Geist also verzogen hat, kann es eine nützliche These sein, dass man seiner gar nicht bedarf, jedenfalls nicht als Ideal, nicht als Höchstes. Dann kann es wichtiger sein, die Nähe zu seinen Nächsten zu bewahren. Dabei kann man darauf verzichten sich als liebender Ehemann, Vater und Opa aufzudrängen, kann sich so lange unsichtbar, unwahrnehmbar machen, bis man auf den Kern der Sache gekommen ist, ob man selbst nur wertgeschätzt wird, weil man sich wert gemacht hat, selbst aktiv wurde oder ob die These, dass man sich Zuwendung nur verdienen kann, doch absurd ist.

Das Babajagahaus ist sicher keine geistige Leistung oder der Plan und das Modell für ein Karussell, das weitere Tausende verschlingen könnte. Seinen Geist muss man auch gehörig zügeln, in kindhafte Bahnen lenken, wenn man ein Kinderlied dichten möchte, einer einfachen Frau ein Gedicht schreiben oder ein Kasperstück schreibt. Bei all diesen Sachen ist Intellektualität ein gefährliches Gift und die sicherste Methode, nichts von all dem zustande zu bringen. Man kann aber auch das ins Absurde wandeln, wenn man die Meinung vertritt, dass gerade das Einfache zu erreichen eine geistige Leistung sei. Da wäre also nicht der Erfinder einer anspruchsvollen und fast unverständlichen Theorie der Intelligente, sondern derjenige, der es dann so einfach macht, dass selbst ein Kind es verstehen kann.

Ich war mein Leben lang unterwegs zur Einfachheit, auch wenn mir das selten gelungen ist. Erst gestern las ich einen neun Jahre alten Aufsatz von mir selbst, von dem ich damals gemeint hatte, er würde die Welt bewegen. Jetzt stand ich selbst ratlos vor diesem Elaborat über die Mendelsche Vererbungslehre und habe ihn nicht mehr verstanden. Selbstverliebt, wie man ist, habe ich ihn aber nicht einfach liegen lassen, sondern nachvollzogen, bis ich ihn verstanden hatte, bin also der Einfachheit wieder ein Stück näher gekommen. Auch meine Arbeit zum Venustransit, dessen Anregung ich einem Nest wie Glashütte und nicht etwa einer Großstadt zu verdanken habe, habe ich so lange vereinfacht, bis ihn jeder Gutwillige verstehen kann. Vielleicht aber denke ich darüber in zehn Jahren auch anders, wenn ich dann noch denke.

Auch das Organisieren, was man für das Fest der Stille braucht, ist keine hochstehende geistige Leistung, ja die Stimme des Volkes ist sogar der Meinung, dass ein Intellektueller das besonders schlecht können müsste.

Trotzdem reiche ich an meinen „Lebens­menschen“ nicht heran, wie Bernhard seine Lebensgefährtin bezeichnet. Die täglichen Dinge gehen mir gar nicht mehr von der Hand und das könnte schlichte Faulheit sein. Mein Lebensmensch ist immer im Gange, wie sich die Anforderungen auch gerade stellen. Ich definiere mir meine Anforderungen selbst, gerade so, wie es bequem ist. Vielleicht ein Anlass, sich etwas vorzunehmen.

Was nehmen Sie sich denn vor? Hinterlassen Sie doch einen Kommentar.

Christian Rempel im Waltersdorfe
28.12.2013