Ernst Abbe – Kamerad
Früh schon senkt sich die Dämmerung. Lüster auf den Tischen und warme Theaterbeleuchtung, nicht nur für die Bühne, verbreiten eine anheimelnde Atmosphäre. Einige der „SchauspielerInnen“ sind schon in der Garderobe verschwunden, sammeln sich. Die Vorspeise wird gereicht. Beleuchtung und Ablauf waren noch einmal durchgesprochen worden. Der count down liegt auf 19:05 Uhr.
Eine kleine Ansage, die Werksirene ertönt, ein Lehrjunge kommt herbeigelaufen und bekommt alsbald eine Ohrfeige vom Werksmeister. Das Spiel nimmt seinen Lauf, die Professoren parlieren, die Frauen in ihren schönen fin de siècle Kleidern disputieren, Abbe erscheint als Rauchwolke an der Tür. Mehr wird von ihm im ganzen Stück nicht zu sehen sein. Die Darsteller spielen sich in Hochform, alle besser als sie jemals waren. Das Publikum folgt dem nicht ganz unkomplizierten Gang der Gespräche. Meister Löber trägt das soundsovielte Mikroskop neuer Bauart herein, aber es wird vernichtender Kritik des Zeiß-Erben ausgesetzt. Elise hat einen schönen Auftritt als nunmehrige Gattin Abbes in der Schweiz. –Pause-
Das Publikum ist recht angetan. In der Pause mit dem Hauptgang des Menüs gibt es Autogramm- und Widmungswünsche auf der Speisekarte. Das geht relativ zügig vonstatten und die Aufmerksamkeit ist wieder geschärft genug, um einen Monolog des Universitätskurators zu verdauen, der die Universität doch einigermaßen als Ursache für Abbes Erfolg sieht. Aber Abbe will eine neue Ordnung für den Betrieb, personales Eigentum ist dem untergeordnet. Man hört, dass er eine Stiftung gegründet hat, aber mit dem Zeiß-Erben geht das nicht. Abbe bietet seinen Rückzug an, oder eben der andere müsse ausscheiden. Das ist ein richtiger Konflikt, aber der kultivierte Umgang überwiegt, also gibt es auch eine Lösung.
Aus den freiwilligen Darstellern ist im Laufe der Proben eine Truppe geworden. Keiner kann die Inszenierung für sich in Anspruch nehmen, es fügt sich fast alles von selbst und jeder gibt sein Bestes. Das Glück spielt mit. Es gibt keine bemerkbaren Pannen. Helfer haben sich auch noch gefunden – und das alles für diese einmalige Vorstellung, die vielleicht doch etwas von dem beabsichtigten Effekt transportiert: der Erhabenheit der Vorgänge um gewisse Persönlichkeiten. Natürlich weist der Jubilar Parallelen von sich, aber wo sollte die ganze Energie hergekommen sein, wenn nicht aus der Wertschätzung seiner und dem Bewusstsein, gut aufgehoben zu sein im Institut.
Wenn etwas so viel Spaß macht und auch gefällt, kann es nicht ganz schlecht sein. Kultur: immerhin eine Komponente im Leben, die wichtig ist. Hundert Jahre ist keine lange Zeit, aber es war der Anfang dessen, wovon wir in Deutschland heute leben. Besinnung auf diese Anfänge, auf diese Kultur, auf herausragende Persönlichkeiten, das kann der Schade nicht sein.
Der Autor – gestanden, die Darsteller – Spitze, das Bühnenbild von einem Profi. Ein Publikum, das Anspruch zu schätzen weiß, was will man mehr. Grund einen Tag, eine Woche zu schwelgen, vielleicht noch länger?
Danke an alle Beteiligten.
Christian Rempel 31.10.2010