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Kolumne KW36 „Artus und der heilige Gral“

Artus und der heilige Gral

 

König Artus soll im fünften Jahrhundert gelebt haben, also früh genug, dass die Geschichte mehr Legende als nachprüfbar wäre. Nur durch eine List des Zauberers Merlin, in dessen Rolle sich auch unser Dichterfürst Goethe gern sah, ist er überhaupt zur Welt gekommen. Merlin ließ nämlich Uther Pendragon, der sich in die schöne Igrain verguckt hatte, die Gestalt ihres Ehemanns annehmen und selbige beglücken.


Artus verbrachte seine Kindheit, einem Waisenkind ähnlich, bei Zieheltern und wurde dann der weiseste und erfolgreichste König der britischen Geschichte. In Liebesdingen war er allerdings nicht so glücklich, weil sich Lanzelot, der Ritter vom See, in seine Frau unsterblich verliebt hatte und sie diese Liebe erwiderte. Da war Lanzelot dann freilich von der Suche nach dem heiligen Gral ausgeschlossen, dem sich nur die Seelenreinsten nähern durften.

Einem Vereinsvorsitzenden ähnlich residierte Artus an seinem Round Table. Die Ritter, die er dort versammelte, sollen 12 oder 6000 gewesen sein, so sehr schwankt die Phantasie über das sagenhafte Geschehen.

Der heilige Gral sollte das Gefäß sein, mit dem ein wohlhabender Freund von Jesus am Kreuz dessen Blut aufgefangen hatte und er sollte vorher dem Abendmahl gedient haben. Joseph von Arimathia, so hieß dieser Freund, soll den Gral dann nach Britannien geschafft haben, was schon damals eben nur eine Legende sein konnte. Insofern war die Suche nach dem heiligen Gral das Bindeglied, der Ritter der Tafelrunde zur christlichen Religion.

Die Profis des Mittelalters waren so um 1100 so weit, dass sie die Sagenepen zu Papier bringen konnten, darunter auch unser Wolfram von Eschenbach – ein Zeitgenosse von Walther von der Vogelweide und Friedrich dem Staufer, dem stupor mundi. Franz Baumer vermutet, dass dies die Zeit dafür war, weil gerade in Spanien und durch die Kreuzzüge sich starke Berührungspunkte zwischen muslimischer und christlicher Welt herausgebildet hatten, dass man erfahren hatte, dass die Muslime nicht nur verschlagene und zurückgeblie­bene Zeitgenossen waren, sondern auf eine hohe Kultur verweisen konnten. Haben vielleicht die wesentlich sinnen- und geschichtenfroheren Muslime uns diese Sagen geschenkt?

Die Kirche tut so, als würde es den Gral gar nicht geben, obwohl sonst jedes Knöchelchen und jeder Holzsplitter verehrt wird, der mit Jesus zu tun haben könnte. Die Bibel ist ja auch ein titanisches Werk einer Quasigeschichtsschreibung, wenn man das mit den dürftigen Zeugnissen späterer Jahrhunderte vergleicht. Sie hat auch poetische Gewalt in der Sprache, ohne Zweifel, aber durchdramatisiert ist sie sicher nicht.

Gut tausend Jahre nach der Bibel machen sich also die Geschichten­erzähler Europas daran, sicher auch fußend auf nordisch religiösen Traditionen, einen Gegenentwurf zu liefern, der vielleicht ein bisschen weniger verbiestert ist, viel weniger die Moralkeule schwingt als gute Vorbilder herauszustellen und der die Minne, also die Anbetung der Frauen, an die erste Stelle stellt und dann erst die Liebe zu Gott erwähnt, die mehr selbstverständliche Grundhaltung ist als Frömmelei.

Die Überlegenheit des Weiblichen, weil im Besitz der Schönheit und Keuschheit, ist die Bezugnahme auf keltische Traditionen und Innovation zugleich. So erhält Artus sein Schwert Excalibur von der Frau vom See und sein Lanzelot ist gar Sohn einer Fee. Artus hat eine Fee zur Schwester. Dennoch geht das unterhaltsame Element weiter vorwiegend von den Männern aus, die neben dem Minnedienst auch andere Abenteuer zu bestehen haben.

Das Ideal besteht im Kämpfen um jeden Preis im Zeichen der Minne, also einer Frau zuliebe. Das ist doch ein Ideal, dem man noch heute nacheifern kann. Christliche Gesin­nung als schönste Nebensache der Welt, aber mit beiden Beinen im Leben stehen. Dem kann man noch heute zusprechen und das würde auch wieder Leben in die Bücher bringen, die sich sonst um die wenigen spektakulären Verbrechen balgen müssen, um noch etwas zu sagen zu haben.

Und noch etwas ist nachzutragen. Es geht dabei nicht wie im Neuen Testament eigentlich nur um eine Person, selbst wenn diese eben Halbgott ist. Den Titel „Bester Ritter der Welt“ haben viele der Tafelrunde inne und wenn sie mal irrtümlich aneinandergeraten, so verschonen sie sich meist, dass es nicht bis zur Prüfung des Superlativs kommt. Es gibt so eine Vielzahl von Identifikationsmöglichkeiten und das Ganze bekommt den Habitus eher einer Gemeinschaft als einer Einzelleistung. Aus diesem Sagenkreis lässt sich schöpfen und schöpfen, nach Herzenslust hinzufügen, eben ein lohnendes Betätigungsfeld für schöpferische Geister, die nicht wie bei der Bibel lediglich Exegeten sein dürfen.

Christian Rempel im Waltersdorfe
1.9.2014