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Kolumne KW29 „An den Ort des Geschehens“

An den Ort des Geschehens

 

Es ist ja fast fünfhundert Jahre her, dass Mitteldeutschland das Zentrum der europäischen Geschichte war, als sowohl die Bauernkriege tobten, als auch die Reformation begann Fuß zu fassen.

Und zehn Jahre ist es her, dass ich mich mit der Apokalypse beschäftigte, mit dem Propheten Daniel, der auch Thomas Müntzer so inspiriert hat, dass er sich mit seiner Theorie der Reiche auseinandersetzte, die sich vom Goldenen, über das Silberne, das Kupferne in das Eiserne Zeitalter entwickeln und man schließlich in einem Gemischten anlangt, bei dem sich Ton (Müntzer nennt ihn Kot) mit Eisen mischt und es dann zum unwiederbringlichen Ende kommt.


Es soll sich nämlich ohne Zutun des Menschen erst ein Stüpplein, also ein Steinchen aus den Bergen lösen, das diese als Statue gedachte Gestalt aus den menschlichen Zivilisationen von den gemischten Füßen her zerstört, zu weltfüllender Größe anwächst und nichts von den Kulturen zurücklässt als eben sich selbst als alles erfüllende Größe.

Man kann diese Prophetie, die Müntzer auf die damalige Zeit vor fünfhundert Jahren bezogen hat, auch auf die heutige Welt beziehen und ein nahe bevorstehendes Ende vorhersagen. Wir hatten das unlängst wieder einmal durch das Ende des Mayakalenders. Zu diesem Anlass war mal wieder das Weltenende in Aussicht gestellt worden.

Nun reisen wir in den Harz und werden wohl auch dem Kyffhäuser einen Besuch abstatten, also auf den Spuren Müntzers wandeln und man kann gespannt sein, was sich von dieser Zeit da noch finden lässt.

Nach einem Weltenende ist uns gerade nicht zumute, man könnte es ja auch wie die Frühromantiker umdeuten und aus der Apokalypse einen Kreislauf machen, bei dem auf das Gemischte Zeitalter wieder das Goldene Zeitalter folgen könnte, auf das wir nun auch schon wieder über zweihundert Jahre warten.

Nicht einmal erklärtes Ziel ist es mehr, das Goldene Zeitalter herbeizupoetisieren. Wir sind so satt von allem, was wir haben, dass wir uns weder um mögliche Bedrohungen des Lebens sorgen, noch uns bemühen, die gegenwärtige Phase der kulturellen Entwicklung irgendwie einzuordnen. Den Müntzer, der sich aufschwang vor seinen Fürsten zu predigen und sie zur Umkehr aufzufordern, haben wir fast vergessen. Er wird heute als bedauerlicher Fall des Fanatismus gehandelt, während ihn Luther sogar als „Satan von Allstedt“ gebrandmarkt hat.

Mit Fanatikern haben wir es nicht mehr, sie sind heute einfach Terroristen. Der Lauf der Geschichte erscheint aufgehalten oder sollte man es lieber eingeschlafen nennen? Wo sollten wir sie da noch hernehmen, die Sehnsucht nach einem Goldenen Zeitalter, wenn wir nicht einmal mehr das gegenwärtige Zeitalter definieren können?

Christian Rempel im Waltersdorfe, den 19.7.2015