Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Kolumne KW 20 2016 „Geben ohne Gegengabe“

Geben ohne Gegengabe

 

Rangsdorf hat auch eine Art Kunstzentrum. Da fand gestern der vierte Literaturtag statt. Zwei Workshops, einer für die Kinder und Jugendlichen und einer für Erwachsene, die nun allerdings nicht nur erwachsen, sondern schon betagt waren. Es scheint so, dass die mittleren Jahrgänge völlig fehlen. Bei Jugendlichen erfreut sich die Schreiberei großer Beliebtheit und die Alten geben sich als Möchtegern­schriftsteller und schreiben Erinnerungen auf, wobei sie natürlich auch auf die Jüngeren abzielen, doch die sollen in diesem Fall nicht selbst schreiben, sondern aufmerksame Leser oder Zuhörer sein, was die Omas da so zu Papier gebracht haben.

Den Erwachsenenkurs macht Antje Wagner, eine Jugendbuchautorin, die es schon zu was gebracht hat, denn sie hat schon einen Preis bekommen und ein Buch von ihr soll jetzt verfilmt werden. Ihre Bücher, aus denen sie ein paar Kostproben vorliest, sind auch schon fast wie ein Film. Alles in konkretester Weise beschrieben, alle Sinne einbezogen, sodass es des visuellen Eindrucks eigentlich gar nicht mehr bedarf. Sie hat Blätter vorbereitet, die ein Bild enthalten, man soll daraus eine Persönlichkeit mit Hoffnungen, sozialer Verortung, Ängsten und einem großen Geheimnis machen, wenn es ein großer Text werden soll. Ist das Geheimnis klein, ist es dann eben auch der Text…

Die Möchtegernschriftsteller schrei­ben emsig und immer wieder gibt die Schriftstellerin neue Anweisungen, die einen irgendwie einschränken, mal soll man den Raum so erstehen lassen, dass man ihn sich vorstellen kann, wie in einem Film, mal soll man möglichst wenig Adjektive verwenden, weil sie den Lesefluss nur hemmen würden, mal soll man möglichst kurze Sätze verwenden, ganz wie ein Journalist, der die Hausfrauen keinesfalls überfordern soll. Unter diesen Randbedingungen zu schreiben, ist fast unmöglich, und was man dann so produziert hat, lässt sie sich nicht mal vorlesen, weil dazu angeblich keine Zeit ist, eine Qual für Möchte­gern­schriftsteller.

Wo Antje Wagner die Energie hernimmt, immer wieder Ratschläge zu geben, wobei sie nicht mal die Ergebnisse auch nur im Geringsten einschätzen kann, bleibt einem ein Rätsel. Sie ist eigens aus Hildesheim angereist und bekommt sicher ein Honorar. Sie gibt aus ihrem Erfahrungsschatz und bekommt kein Feedback.

Eigentlich wird sicher zu viel geschrieben. Die Hoffnung auf Leser erfüllt sich für die meisten nicht mehr. Das ist ein Geben, das eigentlich eine Gegengabe verlangt, nämlich das Lesen und wenn es ganz gut läuft, sogar etwas wie Begeisterung und Anerkennung. Auch ich bin nicht ganz frei von diesen Zielen, aber es ist auch eine große Genugtuung, wenn man meint etwas geben zu können ohne jegliche Gegengabe zu erwarten. Ist das nicht das wirkliche Geben?

Christian Rempel in Zeuthen, den 22.5.2016