Alice Munro
Bei den Nobelpreisen für Literatur scheint es inzwischen ja auch eine Frauenquote zu geben. Fast jedes zweite Jahr erhält eine von ihnen diesen Preis. Darunter sind allerdings auch so geistig dürftige Frauen wie Elfriede Jelinek, aber 2013 hatte das Komitee einen lichten Moment, als es Alice Munro, eine Kanadrerin, nominierte. Bekannt ist sie allerdings erst dann hierzulande geworden, zum Beispiel mit ihrem Erzählband „Zu viel Glück“.
Zwar ist dieser Band auch so, dass man ihn nach der ersten Erzählung gleich in die Ecke werfen möchte, aber wenn man sich einmal auf ihre Figuren einlässt, die meistens einsame Männer, aber noch näher gehemmte und in gewisser Weise unterwürfige Frauen und Mädchen beschreibt, kann man sich schon eher damit anfreunden. Nicht selten geht ein weibliches Schicksal, das natürlich für sie als Frauenschriftstellerin besonders aussagefähig ist, trotz der kurzen Form manchmal von der frühen Kindheit, dann meistens über ein nur angedeutetes Studium bis hin zu einer gebeugten Rentnerin, die noch immer mit ihren Kindheitstraumata zu tun hat, was dann vielleicht das einzige Zeichen von Innerlichkeit ist, mit der sie ansonsten sparsam umgeht. Dass es immer eine Story sein muss, bringt natürlich manchmal drastische Situationen mit sich, bei denen es nicht selten um Mord und Totschlag geht.
Aber das sind Äußerlichkeiten, die nicht schwerer wiegen als der Theatertod, den man der Dramatik wegen gern einsetzt. Insgesamt gewinnt sie dadurch dem einigermaßen langweiligen Alltag einige spannende und überraschende Seiten ab. Es ist aber auch eine immer ein bisschen desillusionierende Sicht auf ganze Leben, die die Protagonistinnen oft von der Kindheit ins Endzeitalter plötzlich versetzt zeigen, dass dazwischen zwar oft wissenschaftliche Arbeit gewesen ist, diese Jahre aber gar nicht zählen, weil sie nichts weiter gebracht haben. Dieses Bestehen aus Kindheit und enttäuschtem Alter ist eine deprimierende Bilanz, die die Moderne zur Bedeutungslosigkeit zusammenschrumpfen lässt. Sie kann als Realistin natürlich nur schreiben, was ist, und so scheint es eben zu sein.
Christian Rempel in Zeuthen, den 11.6.2017