Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Kolumne KW 27 2018 „Ein Brief an Sigrid Damm“

Christian Rempel
Lindenring 38
15738 Zeuthen

Insel Verlag
z.H.v. Sigrid Damm
Pappelallee 78 – 79
10437 Berlin

Ihr Roman: Im Kreis treibt die Zeit

Sehr geehrte Frau Damm,

das „sehr geehrte“ trifft hier wirklich zu und ich bin ein großer Bewunderer Ihrer Kunst, Biographisches so zu belegen und mit fast unmerklichen Zitaten zu durchwirken, dass der Lesefluss kaum gestört wird und alles sich ineinanderwebt und man nur von hoher Kultur sprechen kann. Der trockensten Historie können sie handfesten Unterhaltungswert beilegen und man ist immer ganz bei Ihnen, wenn man sich derart bildet. Das ist äußerst verehrungswürdig.

In Ihrem neuesten Roman „Im Kreis treibt die Zeit“ wenden Sie sich nun der neueren Geschichte, bis fast in die Gegenwart zu und offenbaren viel Persönliches. Diese Hommage an Gotha und im Speziellen an Ihre Eltern wird wieder viele Menschen bewegen, auch wenn von Ihnen selbst mehr oder weniger die löbliche Eigenschaft des Kümmerns um Stadt und Ihre Eltern haften bleibt. Gerade Ihrem Vater werden Sie die Einprägung von einer Vielzahl von Details zu verdanken haben, was er offenbar regelrecht mit Ihnen trainiert hat, aber zur Blüte und wohl auch verdientem Ruhm Sie diese nur selber bringen konnten. Damit ist allerdings die Größe Ihrer sonstigen Protagonisten nicht zu erreichen.

Trotzdem verschlang ich das Buch, fand besonders die historischen Einsprengsel wieder sehr unterhaltsam und wären die letzten beiden Kapitel nicht gewesen, hätte sich kaum die leiseste Kritik bei mir geregt. Aber dreht sich denn wirklich die Zeit im Kreis? Dass Sie sich mit Ihrem Vater ausgesöhnt haben, nach der Wende und dem Tod Ihrer Mutter, wo er doch immerhin im dritten Reich ein Mitläufer war, wenn auch kein Nazi, wie Sie herausarbeiten, und eben eine kleine Existenz, das ist sicher alles nachvollziehbar und auf der Folie eines langen Lebens dann eben eine Marginalie.

Sie haben ja in Ihrem Ruhm eine ganze Korona von Bewunderern, Freunden und Verwandten, aber dass Luther nicht in Wittenberg, sondern in Eisleben gestorben ist, hatten wohl alle übersehen. Auch dass der von Ihnen verhasste Spruch am Rathaus nicht von Schiller, sondern von Goethe stamme (Immer strebe zum Ganzen, und kannst du selber kein Ganzes/ Werden, als dienendes Glied schließ an ein Ganzes dich an. https://de.wikiquote.org/wiki/Ganzes), dürfte Ihnen als Expertin nicht unterlaufen. Ob es sich bei der Schlacht bei Frankenhausen um den Mühlberg gehandelt hat, ist heute, da er jetzt Schlachtenberg heißt, für mich nicht mehr auszumachen, oder ist das eine Verwechslung mit der Schlacht bei Mühlberg anno 1547?

Jeden, der nicht so viel Erfolg hat wie Sie, und das sind ja fast alle, müssen die letzten Kapitel befremden, wo Sie die jetzigen Verhältnisse idealisieren und sich so recht in die Allesgenießerinrolle begeben. Wenn man die Wiederherstellung der Verhältnisse vor 300 Jahren als Ideal sieht, die jetzt stattfindet mit viel geldlichem Aufwand (bei aller Freude über eine historische Bühnenmaschinerie), dann treibt die Zeit wirklich im Kreis. Dieses Museumsland Deutschland kann auch schnell zu einem Panoptikum entarten.

Sehen Sie mir bitte diese kritischen Einwände nach und seien Sie meiner uneingeschränkten Verehrung gewiss.

Mit besten Grüßen
Dr. Christian Rempel