Erinnerungsarbeit
Heute war unser Geschwistertreffen, und das sind sechs und dazu ein 92jähriger Vater, dessen Lebensfreude wir und natürlich er selbst bis heute aufrechterhalten konnten. Unsere Mutter hätte dieses Jahr ihren 90. Geburtstag, den wir auch ein bisschen vorbereiten wollten. Fest steht jetzt allerdings nur, dass wir gemeinschaftlich an ihr Grab treten werden und dann dieses Ereignis mit einem möglichst großen Teil unserer zahlreichen Familie feiern wollen. Neben uns sechs Geschwistern sind ja da noch 15 Enkel und 13 Urenkel hinzugekommen und es gibt natürlich noch viele partnerschaftlich verbundene Personen.
Den Kern bildet aber jener überschaubare Kreis, der sich heute traf und diesem Treffen war entsprechende Gedankenarbeit vorausgegangen. Als ich selbst darüber nachdachte, erschien mir die Kindheit zeitweise als Trauma, dessen Nebel sich erst nach und nach lichteten. Es mag wohl richtig sein, dass, wie man seine eigene Kindheit und die der Geschwister sieht, man sich selbst gerade fühlt, das Trauma Kindheit also ein Ausdruck eigener Düsternis ist, der man nicht nachgeben sollte, sondern sie verscheuchen.
Apropos verscheuchen. Das Wort war mir in einem Gedicht eingefallen, in dem es sich ergeben hatte, dass die Schmetterlinge, die sich wer weiß warum bei mir eingefunden hatten, aber zitternd ihre Flügel nicht entfalten wollten. Die musste ich wohl verscheuchen, in einen Garten, in dem es besser blüht und die reinste vorstellbare Seele sie wohl zu schätzen weiß.
Das gehört aber nur bedingt hierher, obgleich ich auch von meinem Geheimsten gesprochen habe, vielleicht das Interessanteste, was ich heute Abend geäußert habe, denn es hat ohne jeden Ansatz von Religiosität biblische Dimensionen, eben das was Jahre dauern darf oder eben auch Ewigkeiten, was schmählich zuschanden werden kann, ohne dass man es einer Willkür eines noch so verehrten höheren Wesens zueignen könnte.
Ansonsten gibt es Stories über Stories in unserem bunten Leben, und wenn die heute wiederbegründete Zensur zu einer Selbstzensur wird, oder eben ein restlicher wohltuender Schmerz bleibt, dann kann man sich eben glücklich nennen.
Wenn dann nach dem Auseinanderstieben, so wird man es wohl nennen müssen, nach zehn Minuten einer der Verstimmtesten anruft und ausgerechnet den langgehegten Wunsch meines Vaters zur Erfüllung bringt, und das gleich morgen, dass er nämlich einmal Carmina Burana sehen möchte, dann kann man schon an eine glückliche Familie glauben. Jedenfalls für diesen Moment, und das ist ja schon sehr viel.
Christian Rempel in Zeuthen, den 12.1.2019