Mitgefühl regt sich
Man sollte sich selten, aber dann einen guten Film ansehen, man sollte auch nicht ständig lesen, aber wenn, dann ein gutes Buch.
In Joseph Fouché bringt uns Stefan Zweig eine Persönlichkeit der französischen Revolution nahe, die eigentlich ein Spieler ist, mit Machtgelüsten und sich immer geschickt im Hintergrund haltend und intrigierend. Ob Fouché überhaupt eine Idee vertreten hat, da er als Priesterseminarist atheistische und kommunistische Ideen versuchte, wenn es sein musste, über Leichen ging, wie bei der Züchtigung von Lyon, die sich erfrecht hatten, einen Revolutionär hinzurichten, lässt sich gar nicht mehr sagen. Als sich die Verhältnisse geändert hatten, diente er erst dem Konvent, dann dem Direktorium, dem Konsulat, dann Napoleon und wusste selbst dem König nach der Restauration seine Dienste anzutragen.
Es ist nicht unbedingt Sympathie, die Zweig diesem Subjekt entgegenbringt, aber er versteht es hervorragend, alle diese Wendungen, den damit verbundenen Verrat und Charakterlosigkeit als eine gewisse Notwendigkeit zu zeichnen, denn diese Zeiten sind unvorstellbar hart und selbst die Volksmeinung, die immer eine große Rolle spielt, sieht über vieles hinweg, wenn nur Erfolge zu verzeichnen sind. Fouché bringt in Lyon an die 2000 Menschen um und bedient sich schon der Massenvernichtung, wie ganze Gruppen von vermeintlich Schuldigen mit gehacktem Blei aus Kanonen erschießen zu lassen. Da war selbst die Guillotine zu langsam. Dennoch beschreibt Zweig Fouché als nicht blutrünstig.
Als man Napoleon noch zujubelte hatte er schon, trotz der Siege, drei Millionen Franzosen vom Leben zum Tode gebracht, als er Europa zu seinem Familienbesitz machen wollte. Da gab es kein: «Was ist, wenn Krieg ist, und wir gehen nicht hin.»
Stefan Zweig war einer der erfolgreichsten Schriftsteller der zwanziger dreißiger Jahre und wie viele Episoden der Weltgeschichte hat er auf den Punkt gebracht, dass sie fast erscheinen, wie aus einer erdachten Welt. Doch muss er auch stark gelitten haben. Er hatte Depressionen. Schließlich hat er sich im Brasilianischen Exil dann auch 1942 zusammen mit seiner Frau das Leben genommen. Auf die Machtmenschen seiner Zeit hat er kaum Bezug genommen, aber diese Analogien drängten sich ja von selbst auf.
Immerhin habe ich noch eine Zeit erlebt, in der es zwar keine Massenmörder mehr gab, aber Machtmenschen allemal. Das kann man heute nicht mehr so durchziehen, kann es höchstens ins Subtile entrücken. Den Preis, den wir dafür zahlen, ist, dass solche Geschichten in Bezug auf die Gegenwart nicht mehr geschrieben werden können. Längst sind alle Farben aus dem politischen Leben verschwunden, wenn sie sich noch so welche zu geben versuchen und Ampeln und die Jamaikanische Fahne nachahmen.
Zwar ist inzwischen umstritten, dass Dekadenz die entscheidende Ursache für den Untergang Roms vor 1500 Jahren war und man sollte sich lieber, die eigene Lage bedenkend, an den positiven Beispielen orientieren, die darin bestehen könnten, dass eben jeder seiner Arbeit nachgeht, ohne den anderen von seiner eigenen Weise überzeugen zu wollen, wie man es jetzt an den Chinesen sieht. Das genau würde ich als Credo des eigenen Lebens betrachten, und da ist noch nicht alles getan, denn die Dekadenz ist auch heute unaufhaltsam. Da verlohnt sich schon mancher Blick in die Geschichte, auch wenn es nach Stefan Zweig ein Irrtum ist, dass sie sich wiederhole oder überhaupt nur berechenbar sein könnte.
Christian Rempel in Zeuthen, den 17.2.2019