Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Kolumne KW 08 2019 „Aplomb“

Aplomb 

Eigentlich sollte ich jetzt über die täglichen Ereignisse schreiben, meine Erlebnisse mit der Jugend, die längst schon wieder eine Jeunesse dorée, eine vergoldete Jugend ist, Sprösslinge von Eltern, denen es gut geht. Sie zeigten ihr Können in der futuristischen Atmosphäre des Neubaus am Einstein Gymnasium in Neuenhagen, wo es nicht mal mehr ein Stück Kreide gibt und schon gar nicht die Mooswände, deren förderliche Wirkung einige von ihnen entdeckt zu haben glaubten. Da ist nicht eine Abweichung von der Geraden, der großen Fläche, und man hätte wohl des Aufstands eines Hundertwasser bedurft, um da wieder Leben hineinzubringen. Alles atmet Ehrfurcht vor dem geometrischen Bau, der nur den Quader zu kennen scheint, man kennt das von modernen psychiatrischen Kliniken, wo man auch lieber nicht mehr Gefangener sein möchte, Genesender kann man da gar nicht sein.

Das Leben kämpft da vergeblich an gegen den Genius des Quaders, der sich vollkommener nicht mehr finden kann. Die Menschlein, eben so wenig aus Quadern zusammengesetzt, sind dem Wissen der elektronischen Speichermedien ausgesetzt und sollen es aufnehmen mit deren Erinnerungsfähigkeit. Kannte man früher nur das Lackmuspapier als Indikator in diesen chemischen Räumen, so leuchtet von dem überdimensionalen Bildschirm gleich eine Liste von bis zu zwanzig Indikatoren herab, und es scheint der Versuch zu laufen, alle diese zwanzig den Schülern einzubimsen, dass sie sie wieder herauszuwinden verstehen aus den Verschlingungen ihres Gehirns. Ein sehr ungleiches Spiel, das kaum noch Raum lässt für das Denken im Sinne der alten Griechen, die noch mit einem Stöckchen geometrische Figuren in den Sand des Strandes entwarfen.

Eine weitere Begegnung mit Stefan Zweig bildet dann die Ausgleichsbeschäftigung, die Schachnovelle, die mir von einer lieben Hand mit einem als Lesezeichen tauglichen Kassenzettel auf den Tisch gelegt wurde, der aber nicht den Erwerb, sondern nur die Ausleihe belegt. Immerhin, er ist noch ausleihbar, noch nicht ausgesondert als nie mehr gelesen.

Zum Schachspiel kann man ja eigentlich keine Lust mehr haben, denn auch da erwies sich die Elektronik schon lange als überlegen. Selbst Garri Kasparov konnte gegen Deep Blue nicht bestehen, und dem Laien stellt es sich so dar, dass er noch wählen kann, wie dumm sich der Computer stellen soll indem man ein Level wählt. Wählt man das höchste, ist die Partie schon so gut wie verloren.

In der Schachnovelle aber nimmt es ein Mensch unter widrigen Umständen mit sich selbst auf und beweist damit ein ungeheures Menschsein und Zweig macht daraus eine Novelle, bei der dann ein, einer Maschine nicht unähnlicher Weltmeister gegen diesen geplagten Menschen antritt. Eigentlich ist der Weltmeister diesem Autodidakten unterlegen, aber er führt ein psychologisches Moment ins Feld, auf das der Dilletierende nicht gefasst ist, nämlich sein Aplomb, also ein selbstsicheres, an Unverschämtheit grenzendes Selbstbewusstsein, was zu einer Peripetie in der Novelle führt, als deren Meister sich Zweig eben entpuppt, denn dies ist ein unerwarteter Umschwung im Schicksal, der aber nicht völlig unmotiviert ist, was seine Darstellung so stark macht. Vielleicht hätte er auch ebenso gut über die Niederlage Kasparovs gegen Deep Blue geschrieben, dessen Aplomb wohl darin bestanden hatte, dass er die ganze Zeit mit sinnvollen Berechnungen zugebracht hatte, eben die eines Roboters, eines Unfehlbaren. Da treten wir doch erst gar nicht an gegen seine kleinen Brüder.

Christian Rempel in Zeuthen, den 26.2.2019