Die Weltseele
Man kann sicher sein, dass der Autor Yuval Noah Harari des Buches Homo Deus alles Wissbare auch weiß und es scheinen ihm Beispiele zu Hauf zuzuströmen, was in der Geschichte der Erde und insbesondere der Lebewesen alles geschehen ist. Nirgends ist er allerdings so recht zu Hause, es gibt keine Vorzugsauffassung von der Welt, und was die Menschheit betrifft, so neigt er weder einer der verschiedenartigen Religionen zu, noch hat er eine Affinität zu einem der Wirtschaftssysteme oder Gesellschaftsideen, nur dass er eben einen Fortschritt konstatieren kann, der uns ja allen nicht ganz unbekannt ist.
Zunächst entwirft er ein sehr positives Bild von den Errungenschaften der Menschheit, die Seuchen besiegt hätte und inzwischen auch versteht, den Krieg so im Zaum zu halten, dass dessen Opfer wohl nur noch ein Viertel der Opfer von gewöhnlichen Verbrechen betragen und in der Summe „nur“ etwa 600 000 Menschen jährlich auf gewaltsame Weise ums Leben kommen. Er wagt am Anfang die These, dass in Anbetracht all der bisher gelösten Probleme und Errungenschaften der Mensch nun daran gehen könnte, gottgleich und unsterblich zu werden, aber fortgerissen durch den Strom der eigenen Beispiele scheint er am Schluss des Buches zu ziemlich anders gelagerten Konsequenzen zu kommen.
Bemerkenswert ist, welche Rolle er den Tieren zumisst, und dass wir eben nicht überzeugt davon sein können, dass sie uns wirklich unterlegen sind und wir sie unserem mechanischen Weltbild eingliedern können. Er fordert uns, wieder anhand eines Beispiels auf, sich vorzustellen, wie sich das Leben einer Fledermaus wohl anfühlen würde und ob Nutztiere nicht doch unter der manchmal unmenschlichen Haltung leiden könnten. Das können sicher viele Menschen unterschreiben, die mehr oder weniger nutzlose Haustiere umhegen und daraus manchmal den Sinn ihres Lebens beziehen.
Überhaupt ist die Sinngebung eines seiner zentralen Themen, und man kann die Bezüge auf die Jäger und Sammler schon gar nicht mehr lesen wollen, wie auch nicht mehr die Sinngebung durch Götterwelten, die er auch schon als überwunden konstatiert, was dann schließlich in den Humanismus oder Liberalismus mündete, bei denen das Individuum selbst aufgefordert ist, sich den Sinn zu konstruieren und allweil so zu handeln, dass es sich für einen „gut anfühlt“.
Doch nicht nur am Sinn arbeitet er sich ab, sondern auch den Begriffen der Geisteswissenschaft wie Seele, Geist und Bewusstsein, von denen er sagt, dass sie so wenig nachweisbar wären, dass sich kein ernstzunehmender Wissenschaftler leisten könnte, sie überhaupt ins Feld zu führen. Das ist denen überlassen, die aufs Geratewohl losfabulieren können, was ja eben die Geisteswissenschaftler sind, zu denen Harari wohl auch zu rechnen ist, aber er ist auch da nicht zu Hause. Sein Liebäugeln mit den Naturwissenschaften, die zwar nur Mechanismen entdeckten, und wenn sie mal an eine Grenze gestoßen sind, den absoluten Zufall ins Feld führen, führt ihn dann letztendlich auch auf diese Schiene, wobei er übersieht, dass sich gerade hinter dem Zufall der Quantenphysik eben die gesuchten Begriffe, wie Geist und Seele verbergen könnten, wie es ein Ernst Haeckel oder Friedrich Wilhelm Joseph Schelling ausgesprochen hatten, die allesamt fehlen in seinem breiten Strom der Beispiele.
Dieses Liebäugeln mit den exakten Wissenschaften, ohne deren Implikationen voll ausloten zu können, führt ihn dann auch in eine mechanische Zukunftsaussicht, die Harari nur als Möglichkeit und nicht als Vorhersage gewertet wissen will, dass nämlich die Maschinen, die er zu Algorithmen abstrahiert, seinen Homo Deus hinter sich lassen werden und es sehr in Frage steht, ob diese ihn überhaupt zu jenem göttlichen Wesen werden lassen, ihn auslöschen oder er ein Dasein fristen wird, wie unsere heutigen Nutztiere.
Verdächtig ist auch, dass er sich bei aller Liebäugelei mit allem, was es auf der Welt schon gegeben hatte und was aus seiner Sicht denkbar ist, für eines dann doch fast entscheidet und das wieder mal ein –ismus ist, nämlich den Dataismus, bei dem doch der alles über den Haufen werfende Dadaismus anklingt. Den Dataismus wird man nicht weiter erklären müssen, jeder der Schlagworte wie Big Data und KI kennt, wird sich darunter etwas vorstellen können. Uns als Marxisten stehen allerdings die –ismen bis zum Hals und wir haben gefunden, im kurzen Aufblühen der Frühromantik Schellings Weltseele, bei der man nicht viel lernt, aber der Titel eben schon für sich spricht, das bloße Wort eben, und im kurzen Aufblühen des Monismus Haeckels Kristallseelen, die viel zu wenig Würdigung erfahren haben und von den Geisteswissenschaftlern, den Vielwissern, ebenso übersehen wurden.
So bin ich wieder mal durch dieses Buch auf meine Lieblingsidee gebracht, dass das, was Naturwissenschaftler als den absoluten Zufall erkannt zu haben scheinen, nämlich wie sich Quantenobjekte uns konkret darstellen, eben die Grundlage sein könnte, im ganz kleinen, wie sich Geist, Bewusstsein und Seele erklären, auch wenn wir per se nichts darüber erfahren können, dass das, was man schlechthin Animismus nennt oder auch Pantheismus, den auszusprechen sich die wenigsten gewagt haben, aber dem die größten Geister letztlich zuneigten, der eigentliche Schlüssel zu rechten Weltsicht ist.
Ein bisschen ist Harari auch auf diesem Weg, indem er im Nichterkannten eben nicht dröge Voraussetzungen unterstellt, sondern den Reichtum, auch wenn wir diesen nicht erkennen können, zum Beispiel in den Tieren ahnt und einräumt. Dabei ist Information ein schwaches Bild für das Universum, was sich hinter solchen Erscheinungen, wie sagen wir Gravitation verbirgt. Neueste Hypothesen, wie von Rudolph Germer gehen davon aus, dass dieses sehr grundlegende Phänomen aus einer geheimnisvollen Interaktion aller Masseteilchen des Universums hervorgeht und es stünde uns gut an, das nicht nur für bloße Information zu halten, sondern eine lebendige Verbindung, deren Anerkennung uns zwar, da sie unerkennbar und nicht nutzbar ist, auch nichts als eine Vermutung einbringt, aber dahinter könnte der Plan stehen, vielleicht sogar ein göttlicher, den wir schon verloren glaubten und uns einsam fühlen müssen im Universum, dessen Sinn wir nicht finden konnten.
C.R. 10.1.2021