Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Onkel Toms Hütte

Beecher-Stowe, Harriet
Dez. 2011
Erstausgabe:1852
3423140607
dtv
Rezension
Höhepunkt amerikanischer Kultur

Der damalige Präsident Lincoln soll Harriet Beecher-Stowe mit den Worten empfangen haben: „Sie sind also die kleine Frau, die diesen großen Krieg hervorgerufen hat.“ Gemeint war der amerikanische Bürgerkrieg 1861-65, bei dem die Sklavenfrage eine entscheidende Rolle spielte. Auf Krieg war die aus einem Pfarrer­haushalt stammende Autorin sicher nicht aus, hatte doch auch mit ihren zahlreichen Kindern und an der Seite eines lehrenden Theologen genug zu tun, aber es ist nicht ganz unzutreffend, dass ein Gutteil des moralischen Kapitals in diesem Kriege aus diesem Roman stammte.

Der Verlag bringt nun eine Version von Onkel Toms Hütte heraus, die aus dessen Verkommensein zum „trivialen Kinderbuchklassiker“ herausführen soll. Wenn ihn doch die Kinder nur läsen, zum Beispiel vom Verlag Neues Leben, wohl auf der gleichen Übersetzung basierend, von keinem geringeren als Wieland Herzfelde herausgegeben und von Werner Klemke illustriert. Die anonyme Übersetzung ist also nicht so neu, aber man baut vielleicht ein bisschen auf den Fallada-Effekt, der gerade aktuell ist.

_Handlung mit versiegenden Strängen_

Die Anlage scheint zunächst grandios. Wir erleben Onkel Tom in seiner Hütte in Kentucky, einem Sklavenstaat, aber er befindet sich unter einer gutmütigen Herrschaft, die nur gerade mal bankrott ist. Schweren Herzens müssen Tom, einer der wertvollsten Sklaven, und dazu ein kleiner Junge verkauft werden. Letzterer hat natürlich eine Mutter, die mit dem Jungen in letzter Minute nach Norden flieht, während Tom, sich in sein Schicksal ergebend, den Transport nach Süden antritt. Beinahe scheint es, als würde uns der Roman nun nach Süden und Norden entführen, aber der nördliche Strang wird bald verlassen und wir folgen nur dem Schicksal Toms.

Von der titelgebenden Hütte ist nun fast gar nicht mehr die Rede und Onkel Tom gibt uns nurmehr die Orte an, wo die Erlebnisse angesiedelt werden. Zunächst bleibt die bedrohliche Perspektive, auf einer Pflanzung sich zu Tode schuften zu müssen, für Tom aus, weil er an eine großzügige und wohlbestallte Herrschaft gerät und fast gar nichts tun muss, also reichlich Zeit hat, für seine Bibelstudien.

Nun bringt aber die Autorin den wohlmeinenden Teil der Herrschaft zu Tode. Tom, dem schon die Freiheit versprochen war, wird wieder verkauft und erfährt nun doch die ganze Grausamkeit des Sklavenhalter­systems auf einer Plantage, stirbt in einem Nebensatz, aber klar ist, dass dies nicht an Überarbeitung geschah, sondern, weil man ihn moralisch brechen wollte.

_Neuentdeckungen_

Es ist sicher nicht die sprachliche Brillanz, mit der diese Ausgabe gegenüber dem Kinderbuch absticht. Da waren bei letzterem kaum Abstriche zu verzeichnen. Die Lösung sah die Autorin sicher nicht in der Zuspitzung von Interessenkonflikten bis hin zu einem Krieg. Naturgemäß liegt ihr das Religiöse sehr am Herzen, dessen Lebenshilfekraft man sicher nicht hoch genug anschlagen kann und das in der DDR-Ausgabe ein wenig begrenzt wurde. Man bescheinigte ihr das Abgleiten ins Predigen, was den damaligen Papst allerdings nicht hinderte, das Buch zu verbieten.

Wenn ein Leser aber beschreibt, dass er im Zug mit der Lektüre begann, weinte, aussteigen musste, sich ein Hotelzimmer nehmen und weiterlesen, dann ist das eine Wirkung, wie man sie sich nur von Literatur wünschen kann. Die Stärke ist eben nicht eine konsequente Handlungsführung oder gar das erhellende Aufzeigen von Auswegen, sondern die Erschaffung einer Identifikationsmöglichkeit, selbst für einen Südstaatler. Das ist ein eindeutig christlicher Grundgedanke, und man kann einerseits lernen, wie man wider Erwarten Publizität gewinnt, und andererseits, wie viele Anknüpfungspunkte an das Gefühlsleben der Menschen vor 150 Jahren bereits verloren sind. Das gilt wieder für beide Seiten, für die Rechtlosen, die sich in den Fluss stürzten, wenn ihnen das geliebte Kind genommen wird, wie für die heute kleinere Brötchen backenden Reichen. Das gilt auch für Schriftsteller und Leser, und wegen dieses Buches habe auch ich kein Hotelzimmer gebucht, aber die Sehnsucht danach ist präsent.

Im Waltersdorfe 22.1.2012