Leere voraus
Diese Woche habe ich die letzte Mechanikvorlesung gehalten. Zwischen den Jahren hatte ich einige ausgearbeitet, die ich gar nicht mehr halten konnte, weil der Stoff wohl zu schwierig und zu ins Einzelne gehend gewesen wäre. Parallel zur Vorlesung habe ich ein paar Excel-Übungen kultiviert, die aber auch nicht mehr zum Einsatz kamen.
Jetzt steht den Studenten noch die Klausur bevor, bei deren Ausarbeitung ich Wert gelegt habe auf physikalisches Verständnis. Auf den Dressurakt, in möglichst kurzer Zeit die verschiedensten Aufgaben lösen zu lassen, habe ich verzichtet. Meine bevorzugte Methode ist eher, einen Sachverhalt zu vertiefen, das Staunen über bestimmte Zusammenhänge nicht zu vergessen und den Vorteil auszunutzen, den wir heute haben, dass wir so genau rechnen können.
Nun steht statt der Lehre, die große Leere an, womit ich nicht sagen will, dass ich mich nicht zu beschäftigen wüsste. Vor einem Jahr hat mir die Schule einen Impuls verliehen. Das war unsagbar anstrengender und man hatte mit Problemen zu kämpfen, deren Abwesenheit ich jetzt ein halbes Jahr genießen konnte. Keine Disziplinprobleme, nicht die Verpflichtung sich Hunderte Namen merken zu müssen, keine nervenden Eltern im Hintergrund und die Konzentration auf ein bestimmtes Gebiet. Das sind schon paradiesische Zustände.
Natürlich gab es auch Illusionen, dass das Interesse so groß wäre, dass man mit den Studenten in einen schriftlichen Austausch käme. Nur etwa 10 der ca. 40 haben sich überhaupt an den Hausaufgaben beteiligt. Dieses Instrument der Rückkopplung habe ich allerdings auch relativ spät entdeckt und einmal gab es sogar den Fall, dass mir ein geometrischer Zusammenhang skizziert wurde, der mir selbst nicht klar war.
Eine Nachfrage beim verantwortlichen Professor hat bisher nichts ergeben und ich würde ja auch ungern das Niveau leiden lassen, indem ich mich auf zu viele Veranstaltungen einlasse. Und die reine Lehre der Physik wird den Studenten innerhalb eines Semesters eingegossen, wenn die Anspielung auf Georg Philipp Harsdörffer (1607-1658) erlaubt ist, der solches im sog. poetischen Trichter an einem Tag besorgte: „Die Teutsche Dicht- und Reimkunst (ohne Behuf der Lateinischen Sprache) in sechs Stunden eingegossen“. Aus dem poetischen Trichter wurde, da Harsdörffer ein Nürnberger war, der Nürnberger Trichter, den heute nur noch die Wenigsten kennen.
Die Frage meiner dichterischen Neigung wurde von den Studenten mir gegenüber nie thematisiert und blieb entweder unbemerkt oder ist eine solche Abnormität, dass man sie besser übergeht.
Den Ingenieur hat es freilich noch nicht gegeben zu Harsdörffers Zeiten, aber manchmal habe ich Erwähnung getan, dass selbst der Techniker heute geistigen Gepflogenheiten nicht abgeneigt sein sollte. Dass keiner mehr diesen Nürnberger Trichter kennt, der doch mal Inbegriff des Ideals der Pädagogik war, will man gern einräumen, aber dass es auch mit Kleist so ist, ist entweder ein Zeichen von Überforderung oder Unterforderung.
Also daher hier auf der Gedichtladenseite mal eine Kostprobe, die etwa meine Stimmung trifft:
Der Tag ist nun vergangen
Mit seiner Sorgenlast,
Die Nacht hat angefangen
Und aller Arbeit Rast.
Das Liecht hat abgenommen
Mit unsrer Lebenszeit;
Wir sind nun näher kommen
Der grauen Ewigkeit.
Im Waltersdorfe 4.2.2012