Wohlfühlprogramm
Meine Frau grub dieser Tage ein ND von vor 29 Jahren aus und es enthält einen Bericht vom IX. Schriftstellerkongress der DDR mit einer ausführlichen Rede von Hermann Kant, dem Autor der „Aula“ und seines Zeichens ZK Mitglied der SED.
Das war eine Zeit der Friedensbedrohung durch den NATO Doppelbeschluss, einer weiteren Windung der Spirale der Hochrüstung, war aber auch Karl Marx Jahr und Martin Luther Jahr und die Bücherverbrennung auf dem Opernplatz (heute Bebelplatz) hatte sich gerade zum 50. Mal gejährt.
Dass er es sich angelegen sein ließ, mehr als nur fünf Mal, wie sein Vorgänger, das Wort Frieden zu erwähnen, es vielmehr zu einem roten Faden machte, schien angemessen, aber war auch ein bisschen geeignet, die Probleme mit dem Exodus einiger Schriftsteller in den Westen kleinzureden.
Keiner wird jedoch heute noch wissen, dass Honecker und Olof Palme eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa angeregt hatten. Als Kant das in der Westberliner Akademie der Künste proklamieren wollte, erklangen Rufe wie „Totschlagen“, „Aufhängen“.
Man machte sich viel aus Organisationen wie dem Schriftstellerverband und glaubte auf diesem Wege die Dinge optimal voranzubringen. Da wurde einem erfolglosen Vertreter der Zunft, der in schlechten Verhältnissen lebte und dem Selbstmord nahe war, schon mal ein Organisationsjob angeboten. Auf der anderen Seite verbreiteten die Abgehauenen das „Schauerstück von den Katakombenchristen in der DDR“.
Man hätte ja annehmen können, dass in einem totalitären Staat, wie die DDR gern gesehen wird, die widerständigen Manuskripte zu Hauf in den Schubladen gelegen hätten, aber weder die Abgehauenen noch die der Wende teilhaftig gewordenen Dagebliebenen konnten mit allzuviel Bemerkenswertem aufwarten. Die meisten Schriftsteller fühlten sich in ihrem Verband, über dessen Berechtigung man heute vielleicht streiten kann, wohl. Das war auch noch nicht die Zeit, wo die materielle Schere sich so aufgetan hatte, dass es am Notwendigsten, wie Kaffee und ordentlichen Computern, gekrankt hätte.
Das Konkurrenzdenken unter den Schriftstellern hielt sich wirklich auch in Grenzen. Man konnte sich noch am gemeinsamen Erfolg freuen, fühlte sich ein bisschen wie eine Familie. Dennoch sollte man nach Kant auch ebenso selbstbewusst wie verpflichtet denken, etwa wie der große und unglückliche Russe Platonow: „Ohne mich wäre die Sowjetliteratur unvollständig.“
Dass man sich auch in seinem Publikum wohlfühlen konnte, bewiesen wenige Tage vorher die Gedenkfeierlichkeiten zur Bücherverbrennung auf dem Bebelplatz, auf denen in zwei Stunden für 120 000 Mark Bücher verkauft wurden (das zu Ostpreisen!) und an einer zweistündigen Lesung 50 000 Menschen zuhörten, die „nicht lauter waren als 50“.
Eine Rolle spielten auch die Poetenseminare, aus denen doch ein Gutteil der heute noch aktiven UnDichter in Königs Wusterhausen hervorging und es ist erfreulich, dass der Eitel Kunst e.V. bis in die Gegenwart an so einer Tradition im Kleinen festhält. Auch damals musste man schon monieren, dass die Presse nicht besonders aufgeschlossen gegenüber Gedichten ist. Wahrscheinlich damals wie heute, weil man an einem solchen Werk nichts herummodeln kann, dafür aber viel hineindeuten.
Gerade wenn man wie Goethe, der gelegentlich auf holprige Verse angesprochen worden war, dann schlichtweg sagte: „Da ich es einmal geschrieben habe, mag die Bestie stehenbleiben!“ Ein solches Selbstbewusstsein empfahl Kant allerdings nur Poeten „erst ab Goethe aufwärts“, ansonsten steht der Grundsatz, sich Kritik auch zu Herzen zu nehmen.
Im Waltersdorfe 8.6.2012