Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Kolumne KW24

Wohlfühlprogramm

 

Meine Frau grub dieser Tage ein ND von vor 29 Jahren aus und es enthält einen Bericht vom IX. Schriftstellerkongress der DDR mit einer ausführlichen Rede von Hermann Kant, dem Autor der „Aula“ und seines Zeichens ZK Mitglied der SED.
Das war eine Zeit der Friedensbedrohung durch den NATO Doppelbeschluss, einer wei­teren Windung der Spirale der Hochrüstung, war aber auch Karl Marx Jahr und Martin Luther Jahr und die Bücherverbrennung auf dem Opernplatz (heute Bebelplatz) hatte sich gerade zum 50. Mal gejährt.
Dass er es sich angelegen sein ließ, mehr als nur fünf Mal, wie sein Vorgänger, das Wort Frieden zu erwähnen, es vielmehr zu einem roten Faden machte, schien angemessen, aber war auch ein bisschen geeignet, die Pro­bleme mit dem Exodus einiger Schriftstel­ler in den Westen kleinzureden.
Keiner wird jedoch heute noch wissen, dass Honecker und Olof Palme eine atomwaffen­freie Zone in Mitteleuropa angeregt hatten. Als Kant das in der Westberliner Akademie der Künste proklamieren wollte, erklangen Rufe wie „Totschlagen“, „Aufhängen“.
Man machte sich viel aus Organisationen wie dem Schriftstellerverband und glaubte auf die­sem Wege die Dinge optimal voran­zubrin­gen. Da wurde einem erfolglosen Ver­treter der Zunft, der in schlechten Verhält­nissen lebte und dem Selbstmord nahe war, schon mal ein Organisationsjob angeboten. Auf der anderen Seite verbreite­ten die Abge­hauenen das „Schauerstück von den Kata­kom­ben­christen in der DDR“.
Man hätte ja annehmen können, dass in einem totalitären Staat, wie die DDR gern gesehen wird, die widerständigen Manu­skripte zu Hauf in den Schubladen gelegen hätten, aber weder die Abgehauenen noch die der Wende teilhaftig gewordenen Dage­bliebenen konnten mit allzuviel Bemerkens­wertem aufwarten. Die meisten Schriftsteller fühlten sich in ihrem Verband, über dessen Berechtigung man heute vielleicht streiten kann, wohl. Das war auch noch nicht die Zeit, wo die materielle Schere sich so aufge­tan hatte, dass es am Notwendigsten, wie Kaffee und ordentlichen Computern, ge­krankt hätte.
Das Konkurrenzdenken unter den Schriftstel­lern hielt sich wirklich auch in Grenzen. Man konnte sich noch am gemeinsamen Erfolg freuen, fühlte sich ein bisschen wie eine Fa­milie. Dennoch sollte man nach Kant auch ebenso selbst­bewusst wie verpflichtet den­ken, etwa wie der große und unglückliche Russe Plato­now: „Ohne mich wäre die Sow­jet­lite­ratur unvollständig.“
Dass man sich auch in seinem Publikum wohlfühlen konnte, bewiesen wenige Tage vorher die Gedenkfeierlichkeiten zur Bücher­verbrennung auf dem Bebelplatz, auf denen in zwei Stunden für 120 000 Mark Bücher ver­kauft wurden (das zu Ostpreisen!) und an einer zweistündigen Lesung 50 000 Men­schen zuhörten, die „nicht lauter waren als 50“.
Eine Rolle spielten auch die Poetenseminare, aus denen doch ein Gutteil der heute noch aktiven UnDichter in Königs Wusterhausen her­vorging und es ist erfreulich, dass der Eitel Kunst e.V. bis in die Gegenwart an so einer Tra­dition im Klei­nen festhält. Auch damals musste man schon monieren, dass die Presse nicht beson­ders aufgeschlossen gegenüber Gedichten ist. Wahrscheinlich damals wie heute, weil man an einem solchen Werk nichts herum­modeln kann, dafür aber viel hineindeuten.
Gerade wenn man wie Goethe, der gelegent­lich auf holprige Verse angesprochen worden war, dann schlichtweg sagte: „Da ich es ein­mal geschrieben habe, mag die Bestie ste­hen­­bleiben!“ Ein solches Selbstbewusstsein empfahl Kant allerdings nur Poeten „erst ab Goethe aufwärts“, ansonsten steht der Grund­­­­satz, sich Kritik auch zu Herzen zu nehmen.

Im Waltersdorfe 8.6.2012