Wir werden 60
Unlängst haben wir den siebzigsten Geburtstag meiner Schwiegermutter bei uns im Gedichtladen gefeiert, jetzt ist der erste Klassenkamerad mit der Sechzig dran. Wenn man ihn fragt, beteuert er immer noch, dass er zu diesem Fest nicht da ist, aber ein Organisationskomitee arbeitet unverdrossen und gestaltet einen kulturellen Höhepunkt.
Jetzt stehen wir vor dem Rätsel, was da wohl auf die Torte zu schreiben ist, die wir im Auftrag haben (alles geplant bis ins Detail). Man könnte es römisch halten und LX schreiben. Das würde dann an die DDR Glückwunschtelegramme erinnern, bei denen LX 28 immer besonders beliebt war, aber wir nie vorrätig hatten. Sechzig Kerzen wären total verräterisch abzählbar, bliebe also noch eine Rechenaufgabe (5×12), die heute keiner mehr ohne Taschenrechner herauskriegt.
Da das Organisationskomitee blutjung ist, wird in den Sonntag hineingefeiert, dabei würden wir Greise uns auch ein Kaffeekränzchen auf den Sonntag ganz gut vorstellen können, so von 14 bis 18 Uhr und gut. Da hätte man auch Muße, die diversen Kulturbeiträge, die auch minutiös geplant sind, mitzukriegen.
Immerhin spielt das Wetter mit und es ist eine spanische Nacht zu erwarten (die Glücklichen, die im Juni geboren sind). Dass man sich mit Sechzig unausweichlich im Greisenalter befindet, bestätigte uns ein erfahrener Altenpfleger, zu dessen Klientel man alsbald gehören könnte. So viel Pfeffer muss in die Wunde gestreut werden.
Andererseits scheint es nicht lange her, dass man noch die Schulbank drückte, woher unsere Freundschaft noch stammt, zu der auch gelegentliche Ausflüge in die Hohe Tatra gehörten, die nun nicht mehr gewagt, aber besungen werden sollen. Dazu ging ein Auftrag im Gedichtladen ein und es fällt natürlich nicht schwer, über gemeinsame Erlebnisse zu dichten.
Ebenso frisch sind die Erinnerungen an die verschulte Hochschule in Karlshorst, an der man zu Ostzeiten den Außenhandel lernen konnte. Dieser war ja zentralisiert und das Verscherbeln der Traktoren und Mähdrescher war den Betrieben abgenommen.
Dann machte die Wende eigenes Unternehmertum notwendig, wobei sich mein Schulfreund erst einmal an ein britisches Unternehmen hielt und dann auf eigenen Füßen stand. Dann gab es einen Bruch, der manch anderen zum Müßiggang verurteilt hätte, aber er schinderte weiter und ist noch heute mehr in Geschäften unterwegs, als dass er Zeit hätte, sich um die anderen Gestrauchelten zu kümmern und Wunden zu lecken.
Big Party ist wohl angesagt
die Angegrauten staunen
manch Steak wird da wohl angenagt
und Torten gibt’s, Kapaunen
Das Herze wird gewiss beschwingt
wenn der Schwager greift zur Klampfe
und wenn die Tochter lieblich singt
dann schweigt selbst das Gemampfe
Und wer auf Dauer dann vergaß
was Anlass war für das Gewese
warum er hier die Nacht lang saß
dem ist man darob auch nicht böse
Mein Freund, mir bleibst Du immer
jung bis ins Blut und teuer
das feiert sich nicht weg, mein Freund
wie auch bombastisch ward die Feier
Wenn alle reden und Du schweigst
wenn Toast auf Toasts sind ausgebracht
und ganz im Stillen mir nur zeigst
die Sechzig ist nur hausgemacht
Leg auf die Schulter meine Hand
die Wintersport Dir einst zerstört
blick mit mir ins Poetenland
und sag, blieb da was ungehört?
Im Waltersdorfe 15.6.2012