Es war in Guben, als ich in dem Stadtwächterstübchen eine Romanzeitung noch aus DDR-Zeiten vorfand, die in ihrer Auswahl sowohl vom Umfang der Werke bestimmt ist, der moderat sein sollte, als auch ein bisschen abseits vom Kanon liegende Romänchen zum Gegenstand hat. Auf dem Titelbild des Bändchens „Quitt“ von Theodor Fontane ist ein Mann mit einer Art Netz dargestellt und aus seinen Schultern ragen geschweifte Bänder mit der Aufschrift „Germany“ und „Amerika“. Was zum Teufel hat Fontane mit Amerika zu tun, fragte ich mich, und da selbst der Stadtwächter darauf keine Auskunft geben konnte, blieb mir nichts anderes übrig, als das Bändchen zu kaufen und auf den Tag zu warten, an dem ich dies Büchlein mal lesen werde.
Was früher zu einem Preis von 80 Ostpfennig zu haben war und sich als wohleditierte Ausgabe herausstellte, erstand ich nun für 2 Euro und ließ es in dem Berg von Büchern, Rechnungen und Prospekten liegen, die von der Wanderung her immer noch auf meinem Schreibtisch herumvagabundieren und ich schlicht nicht weiß, wohin damit. In der Reihe der Romanzeitungen erschienen sowohl bekannte Romane als auch weniger Lesenswertes und Quitt gehört nicht gerade zu den fontanetypischen Werken, in denen man doch gemeinhin das Sujet der Mark Brandenburg erwartet.
Zunächst ist auch nur von Amerika als der virtuelle Fluchtort für den jungen Stellmacher Lehnert Menz die Rede, der irgendwie unangepasst und etwas aufsässig ist und in Schlesien nahe der böhmischen Grenze lebt. Fontane, der politisch doch eher reaktionär war, kokettiert nur etwas mit dem widerständischen Wesen Lehnerts, ohne diesen irgendwie politisch zu verorten. Es scheint fast eine private Fehde, in der sein Held mit dem Revierförster Opitz liegt, der wohl für die etablierte Macht stellvertretend ist. Beide Gehöfte liegen nebeneinander und allein die von Lehnert hinüberlaufenden Hühner sind Anlass genug für nachbarschaftliche Verwicklungen, ohne dass es dabei aber allzusehr auch an gutem Willen mangelt. Das solche Aufwiegler immer auch ein Problem mit dem Alltag haben, hat Fontane ganz gut erkannt und obwohl alle unter der Buchstabengesetzestreue des Försters leiden, sind die Sympathien durchaus nicht unbedingt auf Lehnerts Seite, der sich zwar als Kind so beliebt hatte machen können, dass er in den Genuss einer Freischule kam, aber Widerständischkeit war bei Weitem noch nicht mehrheitsfähig.
So viel uns Fontane hier an Klarheit und Hintergründen schuldig bleibt, so ausführlich ergeht er sich in Beschreibungen des dortigen Ausflugswesens, dessen Einzugsgebiet bis nach Berlin hin reichte. Schuldig bleibt er dann allerdings auch die lebendigen Details des Mordes Lehnerts an dem Förster, der nach einem Schuss wohl noch einen Tag lebte und sich bemerkbar zu machen versuchte. Schnell kommt man dem Mörder auf die Schliche. Lehnert gelingt aber bei der Haussuchung bei ihm zu fliehen. Wie, sagt uns Fontane auch nicht, aber wir finden den Helden nach wenigen Seiten dann in Amerika wieder, wo er schon viele Jahre verbracht hatte, eine ganze Biographie mit Reichwerden und wieder Verarmen hinter sich gebracht hatte und im Zug das Söhnchen Toby einer Minnonitenfarm trifft, sich kurzerhand entschließt, dort auszusteigen und sich bei dem Guru zu verdingen.
Diese Range stellt sich als ein kleines Teutschland mit ein paar Indianerkindern heraus. Die religiöse Atmosphäre ist eine Mischung zwischen Riten und laissez faire, die der Hausherr und Guru Obadja anleitet, ohne das wir wiederum davon Näheres erfahren. Da ist es dem Autor erneut wichtiger zu vermitteln, welche Bäume an der Allee standen oder wie ein Weihnachtsbaum gefällt wird. Selbst ein weiterer Dauergast L’Hermite, der sich während der Pariser Commune einen Erzbischof auf’s Gewissen geladen hat, verbündet sich insofern mit Fontane, als dass er zwar eine elektrische Klingel und andere Nützlichkeiten für das Haus erfunden hat, aber unerklärlicherweise nichts über seine geschichtsbewegenden Sternstunden verlauten lässt. Auch Lehnerts Liebe zur Tochter des Hauses Ruth wird zwar gesprächsweise mit dem Guru erörtert, aber man würde weit fehlen, wenn man eine Liebesgeschichte dargestellt sehen wollte.
Nur gut, dass Fontane dieses Tappens um den heißen Brei selbst früh genug überdrüssig wird und den Helden infolge eines Unfalls zwar, aber ähnlich qualvoll sterben lässt wie den Förster und der Dahinscheidende auch noch etwas zu Papier bringt, genau wie der Förster. Die Schuld, die Lehnert auf sich geladen hatte, war ja von ihm vorher bekannt worden und so konnte der Guru einen aufklärenden Brief in dessen Heimat schicken.
Wenn es Meisterschaft ist, die dramatischsten Punkte mit den wenigsten Worten zu bedenken und die unwichtigsten über Gebühr auszuschmücken, so könnte ich mich dieser in meiner letzten Arbeit genähert haben, ohne davon zu wissen. Wenn es darauf ankommt, gerade für die heikelsten Punkte die Phantasie des Lesers aufzurufen, als ihm etwas vorzuschreiben, dann hätten wir intuitiv schon etwas von Fontane verstanden. Wenn das aber alles nur Feigheit und Drückebergerei bedeutet, dann fänden wir uns in Gemeinschaft mit einem zu Recht Vergessenen wieder. Hoffen auf Fontane ist somit hoffen auf uns selbst.
Es ist so ziemlich ein Jahr her, dass ich von mir sagen konnte, ein Buch entdeckt zu haben. Das hier erschließt sich nur schwer.
C.R. 22.7.2012
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