Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Hommage an das Königtum

Das schmale Werk von Novalis aus dem Jahre 1798 „Glauben und Liebe oder Der König und die Königin“, das, wie bei den Frühromantikern üblich, nicht mehr als eine Fragmentsammlung sein möchte, rief bei dem frischgekürten Monarchen miesepetrige Stimmung hervor und die preußische Zensur erteilte dann auch eine Abfuhr. Friedrich Wilhelm III. war ja glücklich verheiratet, aber möchte man da als erstes gleich mal gesagt kriegen: „Mehr als ein Königreich gab der Himmel Dir in Luisen.“?
Der König hatte offenbar keine Lust auf die „Tropen- und Rätselsprache“ des Weißenfelser Dichters Friedrich von Hardenberg, wie Novalis damals noch hieß. Falls er Novalis nicht verstünde, so sei er eben ein „Profaner“, der von dieser Rede ausgeschlossen bliebe, andernfalls sei er ein „Eingeweihter“, wie Novalis selbst festlegt.
Novalis wollte Preußen zu einem Musterländle gestalten, „ein Land, das Herz und Geist befriedigt“, sollte eine deutsche Erfindung werden und der Erfinder der „König aller Erfinder“. Das Land soll derart beschaffen sein, dass „der Bauer lieber ein Stück verschimmelt Brot äße, als Braten in einer anderen [Regierung], und Gott für das Glück herzlich dankte, in diesem Land geboren zu sein“.
„Wäre ich [Novalis] morgen Fürst, so bät ich zuerst den König um einen Eudiometer [Luft­güte­messer] wie den seinigen.“ Die gute Luft ist hier natürlich eine Umschreibung sowohl für gesellschaftliches Klima als auch für ökologische Geldquellen („Lebensluft für meinen Staat mehr aus blühenden Pflanzungen als aus Salpeter zu ziehen suchen“).
Man hat in Novalis Werk republikanische Gesinnung hineininterpretiert. Für mich geht aber klar hervor, dass er monarchisch gesinnt ist, wobei er dem Königspaar genaue Rollen zuschreibt. „Ein wahrhaftes Königspaar ist für den ganzen Menschen, was eine Konstitution [Verfassung] für den bloßen Verstand ist.“ „Was ist ein Gesetz, wenn es nicht Ausdruck des Willens einer geliebten, achtungswerten Person ist?“ Der mystische Souverän bedürfe eines Symbols, und welches Symbol sei wohl würdiger und passender als ein liebenswürdiger trefflicher Mensch? Weiter schreibt er, an kollektive Führungsgremien gemahnend: „… und ist nicht ein Mensch ein kürzerer, schönerer Ausdruck des Geistes als ein Kollegium?“
Einen Ausflug ins Schillersche erlaubt sich Novalis, als er die Rolle der Königin beschreibt, die keinen politischen, dagegen einen häuslichen Wirkungskreis im Großen hätte (Schillers Glocke: „Drinnen waltet die züchtige Hausfrau“). Dieser Hausstand sei dann Vorbild für eine Kopie durch den Adel und diese wiederum für jeden im Lande. Sittsam soll es nämlich auch zugehen, und der Maßstab ist das Wohlbefinden der Königin, der es in einer heutigen Stadt auch nicht allzu gut ginge: „Sollte der Königin nicht beim Eintritt in eine Stadt schaudern, wo die tiefste Herabwürdigung ihres Geschlechts ein öffentliches Gewerbe ist?“
Neben der persönlichen Verstimmung des Monarchen, weil ihm der Dichter zu nahe getreten ist, mag die Zensur auf die Reizworte Revolution und Republik angesprungen sein. Bezüglich der Revolution ist tröstlich, dass der Dichter wenigstens kein permanentes derartiges Fieber und kei­ne dauerhafte Krisis für gut hält. Bezüglich der Republik wird Novalis ein bisschen pro­phe­tisch, wenn er sagt: „Es wird eine Zeit kommen, und das bald, wo man allgemein überzeugt sein wird, dass kein König ohne Republik und keine Republik ohne König bestehen könne, dass beide so unteilbar sind wie Körper und Seele und dass ein König ohne Republik und eine Repu­blik ohne König nur Worte ohne Bedeutung sind.“ Nun haben wir ja die Bundesrepublik, doch wo ist denn der König geblieben? Sind denn Kanzlerin und Bundespräsident da ein probater Ersatz?
Nicht nur, dass Novalis die „Wahl“ durch Geburt für geeignet hält, weil er das als die einzige Möglichkeit sieht in die Machtposition hineinzuwachsen ohne dann gleich den Kopf zu verlieren, wenn man sie dann übernimmt. Auch wäre ein Königspaar sehr motivierend: „Ein Brief, ein Bild der Königin; das wären Orden, Auszeichnungen der höchsten Art; Auszeichnungen, die zu den ausgezeichnetesten Taten entzündeten.“
Auch moniert Novalis, dass es ein großer Fehler wäre, dass der Staat zu wenig sichtbar ist. „Ließen sich nicht Abzeichen und Uniformen durchaus einführen?“ Inzwischen, über zweihun­dert Jahre später, haben wir nicht nur keinen König mehr, sondern hatten auch genug Versuche, den Staat sichtbar zu machen, sei es in HJ und SA Uniformen, sei es in Flaggen, Transparenten, Pioniertüchern, FDJ-Hemden und Parteiabzeichen. Heute flaggt jedes Möbelhaus und jede Firma, so dass es kein Ereignis mehr ist, wenn dazwischen mal irgendwo eine schwarz-rot-goldene flattert. Patriotismus beschränkt sich auf den Fußball, wo dann aller zwei Jahre Balkone und Automobile mit Fähnchen geschmückt werden, die, solange die eigene Mannschaft noch im Spiel ist, einen Hauch von Nationalstolz bieten.
Die heute Herrschenden taugen nicht zum brieflichen Austausch, sie taugen auch nicht als Vorbild häuslicher und tugendhafter Gesinnung. Da wir eine Republik ohne König haben, ist Bundesrepublik ein Wort ohne Bedeutung, und die Gesetze sind nicht Ausdruck des Willens einer geliebten und achtenswerten Person. Preußen, das Deutschland von oben geeinigt hat, ist nicht zu dem Musterstaat geworden, der eine deutsche Erfindung hatte werden sollen und wir essen nicht das verschimmelte Brot mit Stolz darauf in Deutschland geboren zu sein.
Wie viel von Novalis Utopie ist so in Vergessenheit geraten. Ein Königspaar muss dringendst her.

C.R. 6.9.2012
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