Der Strumpfhosenfetischist
Mein Freund hat vor vierzehn Tagen den Auftrag bekommen vor Bekleidungstechnikern die Physikvorlesung zu halten. Das ganze Band an der Kasse hatte er vollgelegt mit schwarzen Strumpfhosen, von sexy durchschimmernd bis blickdicht. Die Frau an der Kasse focht das nicht an. Ungerührt rechnet sie
„Weißt Du, was den eigentlich bedeutet?“ fragte er mich. Natürlich meinte er nicht den Artikel, sondern die Artikel, also die Strumpfhosen, die er nach den den-Zahlen sortiert hatte: 15 den, 20 den usw., es ging bis 80 den. „Nein mit der Dehnbarkeit hat es zwar auch etwas zu tun, aber im Grunde geht es um den Faserdurchmesser“, sagte er auf meine vorsichtige Vermutung, was dieser Wert denn bedeuten könnte.
„Na dann weißt Du sicher auch, wie man den Faserdurchmesser berechnen kann“, wollte ich ihn anstacheln. „Natürlich, wenn Du die Wurzel des den-Wertes nimmst und mit 11 Tausendstel Millimeter multiplizierst, dann hast Du den Durchmesser.“ „Also hat eine Strumpfhose mit 20 den einen Faserdurchmesser von ca. 50 Tausendstel Millimeter“, ermittelte ich mit Hilfe meines Taschenrechners, den ich natürlich immer dabei habe. „Ja, genau, das ist der Durchmesser eines Frauenhaars“, sagte er.
Ich belas mich auf der Packung: Material 97% Polyamid und 3% Elastan. Polyamid ist nur eine andere Bezeichnung für Nylon oder Perlon, seine Dichte ist nicht viel höher als die von Wasser, gerade mal 14% höher. Elastan ist ein sagenhaftes Material, das bis auf seine siebenfache Länge dehnbar ist. Bisher hatte ich nur mit Stahl zu tun, der ist gerade mal um 0,35% dehnbar. Von Spinnenfäden hatte ich gehört, dass sie um 30% dehnbar sind und nun Elastan mit sagenhaften 700%.
Angesteckt von ihm als Physiker, der ja wenigstens dafür bezahlt wird, dass er Strumpfhosen auftrennt und mit der Faser experimentiert, zerschnippelte ich eine 20 den Strumpfhose meiner Frau und gewann einen Faden von etwa einem halben Meter Länge. Man kann das nur am Tage tun, denn bei künstlicher Beleuchtung, geschweige denn Kerzenschein, ist dieses Nichts gar nicht zu sehen.
Die 40 den Strumpfhose durfte ich nicht zerschneiden, denn sie war zu teuer. Also legte ich sie auf die Küchenwaage, stellte 27 g Masse fest und verkündete, dass für ihre Herstellung 6 km Faden verarbeitet wurde, was meine Frau sehr beeindruckte. Wahrscheinlich tragen von den 40 Millionen Frauen in Deutschland 25 Millionen Strumpfhosen. Wenn sie die also alle auftrennten und die Fäden zusammenbinden, würde die Länge des Fadens von der Erde bis zur Sonne reichen.
Man kann der Industrie auch auf die Schliche kommen, indem man mal einen Laser Pointer auf so eine Faser richtet und die Dicke direkt ermittelt. Da stellt man dann fest, dass die 20 den Strumpfhose keinen Faserdurchmesser von 50 Tausendstel hat, sondern nur 37. Das hätte Stiftung Warentest schon lange merken können. Diese Kollegen scheint auch nicht anzufechten, dass es mit der Dehnbarkeit der Faser nicht weit her ist. Laut Tabellenwerten sollte sie 25% betragen, aber zieht man an so einem Faden, lässt er sich gerade mal 5% dehnen, und das, obwohl angeblich noch Elastan dran sein soll.
Natürlich verschaffe ich mir auch gleich ein Bild über die Zugfestigkeit und hänge verschiedene Schmuckstücke meiner Frau an so eine Faser. Bei einer Brosche mit 50 g reißt sie schon ab, dabei sollte sie 120 g tragen, wenn der Durchmesser stimmt, und wenn meine Durchmesserbestimmung mit dem Laser Pointer stimmt, müsste sie immer noch 66 g tragen. Das kann man nur mit Frauen machen, die bekanntlich überwiegend keine Physiker sind, aber mein Freund wird sie jetzt ermächtigen, den Betrügereien auf die Schliche zu kommen. Also besuchen Sie unbedingt dessen Vorlesung an der HTW im Sommersemester.
Christian Rempel,
Im Waltersdorfe 17.2.2013