Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Zeisssaga vom Klassenstandpunkt

Es ist nicht mehr leicht zu bekommen, das Buch von Wolfgang Held mit dem Titel „Die gläserne Fackel“, das kurz vor der Wende erschienen ist und dem man anmerkt, dass umfang­reiche Studien einen Grad an Authentizität gewährleisten, wie man sie sich von einem histo­rischen Roman wünschen kann. Damals war gerade die Aufarbeitung des Gedankenguts von Ernst Abbe in Gang gekommen und es war immer noch mutig, ihn als Übervater der Zeiss­schen Unternehmung darzustellen, der einen würdigen Nachfolger nur in Siegfried Czapski fand, den er selbst noch eingewiesen hatte, der sein Assistent war und auch einiges publizier­te, was Abbe bei seiner Arbeitsbelastung nicht schaffen konnte. Er hatte zwar die Maßgabe von Carl Zeiss, dass Geschäftsgeheimnisse im Interesse einer vorteilhaften Konkurrenzsitu­ation bewahrt werden sollen, noch als Einschränkung empfunden, als es ihm anlässlich seiner Beteiligung auferlegt wurde, aber bereits seine Berufung zum Professor wäre schon beinahe daran gescheitert, dass er so wenig publiziert hat, also hat er von vornherein nicht so großen Wert darauf gelegt.

Es ist ein sehr lebensvoller Roman, weil es nicht nur um die Wissenschaftler und Unter­neh­mer geht, sondern auch das Schicksal der Steinhüters beschrieben wird. Franz Steinhüter ist der uneheliche Sohn einer Magd bei Zeiss und steigt in seinem Arbeitsleben vom Lehrling bei Carl Zeiss bis zum Werkmeister auf, einer Lebensstellung, die Beamtenstatus hatte und spezifisch ist für das Zeisssche System einer straffen Führung der Produktion. Obwohl er Sozialdemokrat ist, muss er immer mehr seiner Rolle als Antreiber und ausführendes Organ der Geschäftsleitung entsprechen und so bleibt letztlich fast nichts übrig von der Interessen­ver­tre­tung der Arbeiter. Nachdem ihm seine Frau drei Kinder geschenkt hatte, stirbt sie im Kindbett und er lebt den Rest seines Lebens als Single bei seiner Mutter. Die Entwicklung der Kinder und Kindeskinder bringt viele familiäre Begebenheiten mit sich, die mit Liebe und politischer Betätigung verbunden sind und den Roman würzen.

Nach dem Tode Abbes kommen Zeiten, wo die Rüstungsproduktion eine immer größere Rolle spielt, und auch das Kalkül der Geschäftsleitung, sich auf dem Markt eine Monopol­stellung zu erarbeiten. Das Abbesche Statut wird immer mehr ein Klotz am Bein und die Faktoren des inneren Friedens, die sich der Stifter davon versprochen hatte, geraten immer mehr in Gefahr. Die verbrecherische Natur des damaligen Kapitalismus, die kombiniert mit dem leichten Größenwahnsinn des Kaisers und einer nicht zu vernachlässigenden anfängli­chen Begeisterung der Deutschen im dritten Teil des Buches in den ersten Weltkrieg führt, liegt auch in Jena offen zutage. Die unrühmliche Rolle der Jenaer Studenten, das Versagen der Sozialdemokratie im entscheidenden Moment, all das wird anschaulich gemacht, was allerdings ein bisschen auf Kosten des Themas geht, auf das man sich aus heutiger Sicht gern konzentrieren möchte.

Wenn das alles schon da war, dass der Vorstand mehr und mehr aus herzlosen Managern bestand, wenn die Belegschaft auf dem von Abbe gewiesenen Rechtsweg versuchte das Statut zu verteidigen und scheiterte und keine Aussicht mehr besteht auf eine grundlegende Ände­rung der gesamten Gesellschaftsstruktur, weil wir die nun auch schon hatten und sie von den meisten als misslungenes Experiment befunden wur­de, und selbst von dem damals durchaus berechtigten Klassenkampf heute fast nichts mehr übrig­blieb, dann möchte man am Schluss des Buches gern noch einmal zurückgehen, dorthin, wo Abbe aufhören musste und seine Ge­staltungsleistung vervollkommnen.

Zu einer Vergötterung Abbes, wie sie unter heutigen Umständen wieder vonnöten wäre, konnte man sich natürlich in Anbetracht der Visionen, wie sie die DDR beherrschten, noch nicht durchringen. Sein Credo: „Guten Willen gestehe ich jedem zu“ oder etwas abstrakter: „Wir gehören uns alle nicht selbst“, kommt nicht zur Spra­che, aber er ist auch nicht der Workoholic, der zudem seine Süchte nicht beherrschen kann, wie es bei Döhrband durch­scheint. Zur Leuteschinderei gab es damals wohl keine Alternative, selbst wenn Zeiss der erste sozialistische Betrieb gewesen wäre, hätte man Maßnahmen tref­fen müssen, wie man Konkurrenzfähigkeit und angemessenen Spielraum der Geschäfts­leitung aufrecht erhält, auch wenn man ihnen keine höheren Gehälter als das zehnfache des Durch­schnitts­verdienstes ein­räumt und Nebenverdienste ausschließt.

Die Ausarbeitung des Statuts im stillen Kämmerlein, wenn auch von einem Mann, dem kei­ne „Kapitalistenaugen wachsen sollten“, machte es sicher nicht einfach, seine Gedanken zu verstehen. Aus heutiger Sicht unterlag Abbe zwei tragischen Irrtümern, dem Glauben an die Wissenschaft, wozu wir auch einmal die Juristerei rechnen wollen und an den Staat mit sei­nem Rechtssystem, den er sich nicht ohne große Mühen und Widerstände zunutze machen wollte. Nach dem Buch von Wolfgang Held vermochte er den zweiten selbst noch zu bemer­ken, indem er einräumte, dass der Zukunftsstaat der damaligen Sozialdemokratie vielleicht doch einmal kommen könnte und die DDR war ja 1989 und selbst noch Anfang 1990 zumin­dest auf dem Wege dorthin. Dass diese fiktive Passage von Döhrband moniert wird, wundert uns heute nicht.

Schwieriger ist es damit, den Glauben an die Wissenschaft, die er vor allem an der Univer­si­tät Jena verkörpert sah und sogar die phantastische Vorstellung zu Papier brachte, dass er de­ren Personal im Falle ihrer Auflösung in den Zeissbetrieb übernehmen würde, als einen Irr­tum zu bezeichnen. Soweit es die Juristerei betrifft, ist man schnell damit fertig, denn die eklatanten Entstellungen des Abbeschen Gedankenguts mit der faktischen Beseitigung des Statuts in diesem Jahrtausend, hatte kein wissenschaftliches Gutachten zur Folge, dass es aus rein logischen Gründen gar nicht möglich ist, die gehabte Rechtsbeugung zu vollziehen. Zwar hängt das vor allem mit der Handhabung des Rechtes durch den Staat, also durch Gerichte, zusammen, aber gäbe es eine unabhängige und engagierte Wissenschaft wäre eine gewisse Öffentlichkeit dieser Miss­entwicklungen nicht ausgeblieben. Aber auch der Zufluss von Ideen und verwertbaren Lösun­gen aus der Wissenschaft hat deutlich abgenommen und es gibt An­zeichen dafür, dass man da­zu tendiert seine Forschung eher im Haus zu machen, als auf Zu­flüs­se an Verwertba­rem aus der Wissenschaft zu warten. Was schon damals die Regel war, ist heute nicht besser gewor­den, dass sich Professoren gern bequem einrichten in heute gutbe­zahlten Positionen und wenn sie etwas für die Industrie tun sollen, als erstes daran denken, wie man damit noch mehr Geld verdienen könnte. Auch ist die Wissenschaft in vielem heute schon eine Selbstverständlich­keit geworden, ist vielmehr eine Technologie, dass es nicht mehr gerechtfertigt ist darum so viel Aufhebens zu machen.

Wirkliche Denkarbeit bringt Grundsätzliches und Organisches hervor und das ist heute viel schwerer zu haben als noch zu Abbes Zeiten. Deshalb ist den Statutänderern auch nichts ein­ge­fallen, denen man durchaus auch „guten Willen“ zugestehen kann. Man zog es vor, jegliche Farbe auszulöschen und befindet sich jetzt als farblose Moluskel-AG im großen Haifischteich der AG`s, von dem man auch noch gewollt hat, dass er global ist.

Der Gedanke, dass dabei, wenn auch nicht ganz effiziente, Klasseninteressen im Spiel sind, ist nicht abweisbar. Diese hat sogar schon Abbe gesehen, hing aber der Vorstellung nach, dass es einen kultivierten Ausgleich geben müsste. Da nun die Optik Ausdruck dieser Kultur ist, also der Arbeitsgegenstand so typisch für die heutige Zeit, möchte ich mich noch einmal beim Autor bedanken, dass er acht Jahre seines Lebens darauf verwandt hat, dies künstlerisch umzusetzen und uns zu Herzen gehen zu lassen.

C.R. www.gedichtladen.de 6.3.2010