Obsessionen
Als ich meinem Freund Rudi heute erklärte, ich hätte eine Obsession, da wusste er mit dem Begriff gar nichts anzufangen. Ich selbst hätte es bis vor kurzem noch mit z geschrieben, aber da ich nicht selten von Obsessionen, also einer gewissen Besessenheit, heimgesucht werde, lohnte es sich dann doch mal nachzuschlagen.
Das ist nun weniger ein Krankheitsbild als dass es fast eigentlich ein Wunschtraum ist. So zeigte vorige Woche das Plakat von Jugend forscht einen Jugendlichen, der hinterrücks von einer Art Michelinmännchen umarmt wird und drunter steht: „Meine Idee lässt mich nicht los.“
Das dürfte ebenso ein Wunschtraum sein wie das Obsessionen haben noch nicht zur psychischen Störung gerechnet wird. Wenn man bei Jugend forscht den Aufwand, den Jugendlichen eine Idee nahe zu bringen und sie davon abzuhalten, nur ihren Computerspielinteressen nachzugehen, vergleicht, ist der Aufwand mit den Spielkonsolen zu konkurrieren weitaus höher.
Mir geht es jedenfalls wirklich so, dass mich Ideen tage- und monatelang nicht loslassen und meinem Freund Rudi geht es nicht anders. Als ich ihm mein Faservibrometer erklärte, vereinfachte er den Aufbau mit ein paar Bleistiftstrichen und resümierte: „Alles, was wir brauchen, dürfte ich da haben.“
Flugs war auch eine Schaltung entworfen und dass es nicht zu Verwechslungen bei den buntgestreiften Widerständen kommt, wurden sie einfach in die Skizze hineingesteckt. Mit einem Sack voller Bauelemente rückte ich nach zwei Stunden wieder ab und nun liegt der Ball wieder bei mir und ich kann sehen, was die Idee wert ist, die mich gerade nicht loslassen wollte, aber zu einem Sack Arbeit mutierte.
Wie kann aus einem, der noch vor drei Wochen Strumpfhosenfetischist war, so schnell ein Elektroniker werden? Immer wenn ich über theoretische Zusammenhänge nachdenke, fallen mir gleich kleine Geräte ein, die man daraus bauen könnte, und gleich als mir klar wurde, dass ein Merino viel feinere Haare hat als wir Menschen, lief mir ein Vibrationsverfahren über den Weg, das man zur genauen Durchmesserbestimmung angeblich verwenden kann.
Zwar sind Fasern, und gerade Naturfasern ganz räudige physikalische Objekte, aber das Prinzip kann man vielleicht an Lichleitfasern, die ja in der Regel nicht viel dicker sind als Haare, aber wesentlich freundlichere Materialeigenschaften haben und zudem noch Licht leiten, das Prinzip erst mal erproben.
Da man auf das Internet angewiesen ist, ist es trotzdem immer recht schwierig an den Gral der Wissenschaft heranzugelangen, denn dieser wird in kostenpflichtigen online Fachzeitschriften und teuren Fachbüchern gehütet, die man nicht einsehen kann. Dass es noch Fans unter den Jugendlichen gibt, merkt man an den Foren, wo viele Probleme mit den dürftigen Mitteln der ASCI Darstellung diskutiert werden. Trotzdem bekommt man ein Bild davon, welche Aufgaben der Jugend vorgesetzt werden und wie sie mit vereinten Kräften versuchen, diese zu lösen.
Es mag verblüffen, wenn man, um das Problem eines schwingenden Lichtleitkabels zu lösen, die Statik bemühen muss, die normalerweise auskragende Bauteile in der Architektur behandelt. Da wimmelt es dann nur so von Differenzialgleichungen vierter Ordnung und man sieht kein Land mehr, wenn man schnell mal was wissen will. Was aber auch alles schon der Bernoulli, noch weit vor dem Ferseh- und Computerzeitalter herausgefunden hat, macht einen staunen.
Wenn man das nutzt und in wenigen Stunden im Computer simuliert, möchten einem schier die Augen übergehen, wenn man dann sieht: So schwingt die Faser also!
Christian Rempel,
Im Waltersdorfe 12.3.2013