Überraschender Bauauftrag
Die Architekten haben eine Halle geplant, die eine Grundfläche von gerade mal 5m mal 10m hat. Innen laufen noch an zwei Seiten 1,5m breite Emporen um, und vermindern die Grundfläche optisch noch mehr. Der ganze Raum hat nur Lichteinfall von der Ostseite durch zwei vertikale Fensterstreifen, die in der Mitte eine beträchtliche Fläche in den Schatten des Gegenlichts taucht. Nur an der Raumhöhe hat man nicht gespart, denn sie beträgt fast zwölf Meter.
Diese Halle wird in Halle errichtet und ist Teil eines Gästehauses für ausländische Wissenschaftler. Dass sie sich in dem schornsteinartigen Bau nicht langweilen, soll jene Fläche im Gegenlicht eine Wandverzierung erfreuen, die etwa 3,70m breit und ganze 6,5m hoch sein soll.
Wir haben im Esszimmer auch zwei Fenster, die allerdings nicht nach Osten, sondern nach Norden gehen. Trotzdem ist es am Tage in dem Raum so hell, dass wir noch nicht auf die Idee gekommen sind, ausgerechnet in den Zwischenraum zwischen den Fenstern noch ein Bild o.ä. anzubringen. Dieser ist dann gerade mal für Gardinen gut.
Wenn man nur von dem Projekt hört, denkt man sich gar nichts weiter. Da sind eben mal 24 Quadratmeter Wandfläche zu gestalten, aber die potenziellen Auftraggeber sind pfiffig genug, sich mal zum Nulltarif auch eine räumliche Vorstellung zu verschaffen, indem sie die Bieter einfach mal auf eigene Kosten ein Modell bauen lassen.
Das Modell kann 1:5 oder 1:10 sein, so spekulieren sie darauf, dass man nicht gleich merkt, dass 1:5 schon ganz nett begehbar wäre und auch 1:10 schon einen ganz beachtlichen Materialaufwand hat.
Künstler sind heutzutage überwiegend arme Schlucker, und war nicht schon immer das Prinzip, dass man die dann auch noch zur Kasse bittet?
Aber Künstler bringen auch Dinge zustande, die einem manchmal vor Rührung die Knie weich werden lassen, und von dieser Sorte ist meine Tochter, die sicher ihren Weg machen wird, ob nun mit oder ohne Schornsteininnenauskleidung.
Christian Rempel,
Im Waltersdorfe 16.6.2013