Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Intelligent, intelligenter, am intelligentesten

Dass man es hätte intelligenter als Ulbricht in der nach ihm benannten Ära hätte machen können, spricht Walter Janka selbst in seiner Autobiographie „Schwierigkeiten mit der Wahrheit“ nicht aus, aber dass viele damals dieser Meinung waren, liegt sicher auf der Hand. Doch was war das auch für ein illustrer Kreis, in dem sich Kommunisten und Sympathisanten in der frühen DDR wiederfanden. Der mit großen Worten begnadete Junkie Johannes R. Becher, der talentierte Bertold Brecht mit seiner seine Affären zudeckenden Frau Helene Weigel, die an die Seelen greifende Anna Seghers, Arnold Zweig, Ludwig Renn, Lion Feuchtwanger, Hanns Eisler und viele andere, die nun meinen mussten, das Goldene Zeitalter hätte begonnen mit dem Sieg des Sozialismus.
Der Spitzbart muss sich da recht unsicher vorgekommen sein, denn neben der hehren Wissenschaft des Marxismus war wohl die, zum großen Teil im Exil entstandene, Kultur ein Standbein des Sozialismus und doch viel schwerer zu verstehen als die Gesellschaftslehre, weil es dazu nicht nur linearen Denkens bedurfte, sondern die verschlungenen Wege der Intellektu­alität nachzuempfinden. Am besten war man da wohl dran, wenn man selbst über irgendein Talent verfügt hätte und wenn das nicht der Fall ist, bleibt einem nicht viel mehr als Misstrauen. In die Geschichte eingehen konnte man da nur mit den mit Fistelstimme geäußerten Worten: „Es hat keiner die Absicht einen Flughafen zu bauen“ oder so.
Dabei wäre es auch nicht gerade klug gewesen, sich unter das, ob der Werke dieser Intellek­tuellen, staunende Volk einzureihen, die doch viel weniger Unempfindlichkeit gegenüber der Naziideologie unter Beweis gestellt hatten, die jetzt erst sahen, dass die Kommunisten so unrecht nicht hatten und dass es Menschen gegeben hatte, die teilweise unter viel Entbehrungen das neue Deutschland schon vorgedacht hatten als man hier noch die letzten Patronen verschoss und fast schon abergläubisch immer noch hoffte, die Welt am Deutschtum genesen zu lassen und einen fatalen Sieg fast über die ganze Welt zu erringen.
Diese Vordenker schwemmte es also wieder in die Heimat, waren gut versorgt und es wollte ihnen nicht gleich dämmern, dass das erste, was nun verlangt war, darin bestand, das Denken nunmehr einzustellen und sich am besten darauf zu kaprizieren, von dem zu schwärmen, was in der DDR geschaffen wurde. Das sah Ulbricht, nicht ganz von der Hand zu weisen, wohl vor allem in wirtschaftlichen Erfolgen, zu denen wohl eher Kadavergehorsam als selbständiges Denken beizutragen im Stande war.
Dass die Intellektuellen, die es als selbstverständlich nahmen, dass man sie staatlicherseits in den Himmel hob und dass man eben mal von dem von anderen Erarbeiteten lebt, natürlich auch auf die Idee kamen, dass sie im Grunde alles auch besser können würden, wenn es sein muss, eben auch mal ein bisschen regieren, kann eigentlich nicht verwundern. Ulbricht hätte lieber lauter verdiente Ingenieure gehabt, die das Ding mit der Macht willfährig ihm überlassen, aber so hatte er einige von diesen Läusen im Pelz, die schon mal eben einen Ersatzmann für ihn in Erwägung zogen. Da machte man sich, mit aller Ungeschicklichkeit, die die Abwesenheit von Intelligenz eben mit sich bringt, daran diese Läuse loszuwerden.
Walter Jankas besondere Tragik schien darin zu bestehen, dass er sich im unmittelbaren Dunstkreis dieser nun teilweise in Machtpositionen gekommenen Intellektuellen befand, die sich doch alle bei näherer Betrachtung als recht einfach und unzuverlässig gestrickt erwiesen, er aber nicht mehr als ein Wasserträger für sie war. So berückend es sein mag, wenn man monatlich bei Bechers am Scharmützelsee zu Gast und immer wieder das Du angeboten kriegt, wenn man von der Seegers zum Mittag eingeladen wird, das man dann selber bezahlen kann, und dem Lever der Weigel in vertrautem Gespräch beiwohnen darf. Sie alle werden ihre eigenen voluntaristischen Gedanken, die sie so gern mit einem Wasserträger teilten, vergessen haben, wenn dieser, diese selbst vertretend, in Schwierigkeiten kommt. Über das alles musste er dann wohl im Zuchthaus nachgedacht haben und bereut haben wird er vor allem, dass er einem Heißsporn wie Harich vertraut hat, der wohl in einem abfälligeren Sinn ein prätentiöser Intellektueller war und viel­leicht zu Recht aus dem Verkehr gezogen worden war.
Als Verleger, Leiter des Aufbauverlags, hatte er ja selbst eine kleine Machtposition inne, eine Position, die erlaubte zu entscheiden, was dem Volke und wie präsentiert wurde. So schien auch er der Überzeugung gewesen sein, dass Georg Lukács sein wichtigster Autor gewesen wäre, den heute mit gutem Grund kaum noch jemand kennt und wenn man sich selbst mal ein Bild macht und dessen „Theorie des Romans“ liest, nur den Eindruck eines philosophierenden Schwätzers gewinnen kann. Aber auch, was an westlichen Autoren in der DDR erschien und ja richtig mit Geld verbunden war, weil man nicht wie der große Bruder Sowjetunion die Autorenrechte einfach ignorierte, konnte er in gewissem Maße entscheiden. Da fließen einem natürlich die schnellen Sympathien der derart Begünstigten zu und man täuscht sich leicht darüber hinweg, wie stark deren Einsatz für einen politisch Verurteilten sein mag. Im Westen hat er es nach seiner Freilassung dann gar nicht erst versucht, was eigentlich ein Exempel hätte sein müssen für die vielen, die sich später auf diesem Wege in die sichere Bedeutungslosigkeit begeben haben. Er führte anschließend ein kleines Leben weiter in der DDR und wurde kurz vor Toresschluss zwar nicht rehabilitiert, aber mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold dekoriert.
In seinem Buch spricht ein Mann, der nicht glückreich aber bedacht agierte, der dafür ein­stand, was andere ihm leichthin eingeflüstert hatten und er hat wohl seine Straße in Chemnitz verdient, wo seine Laufbahn begann und schon sein Vater für die kommunistische Einstellung hart zu leiden hatte. Wenn man ihn als Opfer des Vertrauens in die Intellektualität und der windigen Intellektuellen sieht, kann man seine Schlussfolgerungen ziehen, war sein Leben, das noch bis 1994 währte, nicht vergebens. Durch die Wende konnte er noch die Rechnung aufma­chen, aber die meisten hatten da schon wieder andere Sorgen, vor allem das ganze entgangene Wohlleben nachzuholen. Der alte Staat, der uns übernahm, hatte keinen Kulturschatz zu bieten und hat mehr Komiker als Denker. Wir selbst ließen uns keine Zeit zum Nachdenken jenseits jeglicher elitärer Intellektualität, vielmehr mussten dringendst die Häuser saniert werden, die Betriebe verhökert und Autobahnen gebaut.
Kann es sein, dass der Hunger nach Lächerlichkeit und Flachheit das eigentliche Bedürfnis unserer Zeit ist? Sind wir zurück- statt vorangeschritten? Es muss ihn geben, den Hunger nach Intelligentem, nach echter Anteilnahme, nach Rührung in der Kunst. Ihn zu spüren, muss man allerdings eine Abgeschiedenheit leben, wie sie den meisten viel zu anstrengend ist, wo es einem ein bedrohliches und höchst unangenehmes Gefühl ist, sich zu langweilen. Es ist aber möglich!


C.R. 21.8.2013
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