Faust
Gibt es das noch, dass der Faust, an dem Goethe fast sechzig Jahre gearbeitet hat, so aufgeführt wird, wie es der Geheimrat sich vorgestellt hat? Erfordert es doch über 50 Darsteller, und welches Theater könnte sich ein solch opulente Aufführung noch leisten?
Die Theatergruppe der Villa Dolorosa in Berlin-Lankwitz, die jedes Jahr ein oder zwei Inszenierungen herausbringt und es zu Darstellungen gebracht hat, die den Text nicht fürchten, die das Niveau nicht fürchten, das durch einen Botho Strauß oder eben Goethe verkörpert ist, ohne die Stücke zu verballhornen, wie es heute fast schon die Norm geworden ist.
Jetzt haben sie sich nun an das Stück der Stücke gewagt, das ein Genie hervorgebracht hat, das nun schon fast 200 Jahre begraben ist und man mit einigem Recht annehmen könnte, dass seine Werke nun angestaubt zum alten Eisen geworfen werden könnten.
Diesen Eindruck hat man auch erst ein bisschen, als nach den Prologen dann die Studierstube Faust’s die Szene beherrscht und sich der Alte, noch etwas lispelnd dazu, in ziemlich endlosen Monologen ergeht. Da hat man dann zunächst wirklich den Eindruck, hier werde einem Faust vorgelesen, auch eine wunderschön bunte Osterszene mit viel Volk kann das nicht ganz kompensieren und der Geniestreich des Osterspaziergangs, den der Faust dem Wagner rezitiert, geht fast ein bisschen unter.
Bis dann der Pudel sich an seine Fersen heftet, den Faust mit ins Studierstübchen nimmt und der dessen gedankenschwere Arbeit mit Geknurr und Gebell unterbricht, herrlich die Augen verdreht und sich in animalischen Gesten ergeht. Da hat er dann gleich die Sympathien des Publikums auf seiner Seite, das doch auch nur allzugern ein wenig knurren und bellen würde.
Das putzige Tier entpuppt sich ja als Mephisto, gespielt von Fabian Ruth, dem die Rolle so auf den Leib geschneidert ist, dass er vollkommen darin aufgeht und ein perfektes Spiel hinlegt mit der ganzen Souveränität, die man von einem teuflisch guten Schauspieler erwarten darf. Er spielt den alten Faust auch gehörig an die Wand, bis sich dieser in den jungen Faust verwandelt und nun echtes jugendliches Engagement und Verve, dem Geist, der böses will und gutes schafft entgegensetzen kann.
Zweifellos der Höhepunkt ist ja die Liebesgeschichte zu Gretchen, der man anfangs gar nicht die Größe zutraut den Balanceakt zwischen züchtiger Jungfrau und später halb verrückter Kindsmörderin, die doch ein tragisches Vorbild im historischen Weimar hatte und für deren Hinrichtung dann auch der Geheimrat gestimmt hatte, auszufüllen, aber Cornelia Meussling bewältigt das glänzend.
Auch an Szenen von hohem Schauwert fehlt es ja nicht, seien das die Ostervolksszene, die Studenten in Auerbachs Keller, die Hexenszene oder die Walpurgisnacht. Da kommt der Vorteil der großen Besetzung so richtig zum Tragen. Man kann nur bewundern, was Goethe sich da ausdachte und man sieht den Anspruch der Truppe, dass der Geheimrat es selbst gern so gesehen hätte, glänzend bestätigt.
Besonders köstlich ist auch die Gartenszene gewesen, wo Frau Marthe (Constanze Bieber) mit Mephisto und Faust mit Gretchen flirten, wobei ersterer doch mit der Nachricht aufzuwarten hatte, dass Frau Marthes Gatte in der Fremde verstorben sei, ohne ihr auch nur einen Heller zu hinterlassen. Man kann da wirklich nur unterschreiben, dass uns das ewig Weibliche hinanzieht.
Insgesamt ist das Konzept, Goethe mal wieder als Goethe zu spielen und sich an dessen Text zu halten, aufgegangen, auch wenn man anfänglich etwas Schwierigkeiten hat, sich da hineinzufinden, so reichen doch ganze vier Stunden, dass man wieder dort ist, wo uns der Meister hinhaben wollte, und man möchte ihm zurufen, hättest Du uns doch noch mehr von so Erbaulich-Vergnüglichem geliefert, aber so ein Meister ist in Deutschland noch nicht wieder erstanden.
Es ist toll, mit welcher Begeisterung und welchem Engagement uns die überwiegend jugendlichen Schauspieler uns das wieder nahezubringen versuchen und dabei ein kleines Meisterstück ablieferten.
Christian Rempel im Waltersdorfe
19.1.2014