Der Gedichtladen

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Kolumne KW04 „Berliner Zimmer“

Berliner Zimmer

 

Es war scheinbar nicht üblich, dass man eine Viertelstunde vor Beginn des Rates der Weisen erscheint, die, dreizehn an der Zahl, sich in einer Berliner Wohnung, einem mondänen Wohnzimmer, das allen Platz bietet, zu einem Vortragsnachmittag treffen. Die Vorbereitungen bestanden in Tee- und Kaffeekochen und man war einfach im Weg, wenn man der üblichen Pünktlichkeit zuvor kam.

Dann erschienen die Barden dieses Club of Berlin, fast durchgängig sehr betagt, eine Vorstellungsrunde ergab, dass sie Ärzte, Physiker und Philosophen sind, die sich allmonatlich einem Thema widmen, diesmal war es ein Buch von Lothar Schäfer „Die versteckte Wirklichkeit“, eines deutschstäm­migen Physikers also, der in den USA lebt und auf die Idee gekommen ist, dass uns die Physik in das Jenseitige, in das nicht Erfahrbare – also in die Transzendenz führt. Dieses Buch eines Physikers wurde nicht etwa von einem der vertretenen Physiker referiert, sondern von einem Pfarrer, der beachtliche Kenntnisse in der Präsen­tations­technik aufbot, um es recht anschaulich zu machen.

Dieser Lothar Schäfer ist ein Vertreter einer kleinen Gemeinschaft von Physikern, die an den Grundfesten der Physik herumrätseln und sich nicht damit abfinden können, dass die Physik an einem bestimmten Punkt aufgegeben hat, die Dinge immer genauer feststellen zu wollen. Bei dem einfachen Problem der gleichzeitigen Feststellung von Geschwindigkeit und dem Ort eines Teilchens ergibt sich nämlich, dass man beides nicht mit beliebiger Genauigkeit bestimmen kann. Ringt man einem Teilchen die genaue Geschwindigkeitsbestimmung ab, so er­scheint es an einem ganz unvorhersag­baren Ort und umgekehrt.

An dieser Erkenntnisbarriere scheute der Physikgaul gehörig, der doch im vorigen Jahrhundert so wacker vorangeschritten war. Die ihn vorangetrieben hatten, nicht zuletzt das Genie Einstein, konnten selbst nicht mehr glauben, dass sie auf dem richtigen Wege befindlich sind, aber die großen Erfolge der neuen Theorie (Quantentheorie) waren so überzeugend, dass man sich langsam an deren Richtigkeit gewöhnte.

Wenn sich nun Schäfer und andere darauf verlegen, den Physikgaul mit allem philosophischen Rüstzeug noch zu beladen, angefangen von den alten Griechen, über die grübelnden Briten, die genialen Franzosen bis hin zu den deutschen Philosophen (es sei dieses Rüstzeugs immer noch nicht genug, meint eine der anwesenden Philosophen und Kantkennerin im Club of Berlin), so kommen sie zu der Konsequenz, dass dieser Kern, der sich hinter den Erkenntnisschranken verbirgt, ein bewusstseinsähnlicher sein muss. Da sich auch Ereignisse beeinflussen können, die sehr weit räumlich entfernt sind, ist dieses vermutete Bewusstsein gleich ein kosmi­sches. So kommen wir zu dem denkenden, fühlenden und vielleicht sogar alles bestimmenden Universum.

Man ging also von dem Kleinsten aus und stellte daran sehr weitreichende Eigen­schaften fest. Es scheint bald so, als wenn so ein Mikroobjekt alles über die Makrowelt weiß, also die Vorgänge im ganzen Universum kennt, wie wir zwar nur an sehr primitiven Eigenschaften, wie die o.a. Geschwindigkeit und der Ort ja sind, fest­gestellt wurde, aber in einem mechanischen Weltbild sind das eben die Dinge, an denen alles hängt, was sich dann in noch so komplexen Funktionen ausdrückt.

Wollte man meine eigenen Vorstellungen von einer belebten Mikrowelt vor den philosophischen Richterstuhl stellen, so wäre er mit der Fliegenklatsche des Animismus (unbelebte Dinge als belebt anzusehen) rasch erschlagen. So weit ist es gestern nicht gekommen, es bekam nur der Naturalismus sein Fett ab.
Auch wenn ich bei meinen Jahren fast der Jüngste war in diesem Gesprächskreis, werde ich dem scheuenden Physikgaul nicht mehr über diese Hürde, die vielleicht in den Abgrund das Wahnsinns führt, helfen können, also junge Leute, ihr seid gefragt!

Christian Rempel im Waltersdorfe
26.1.2014