Der Gedichtladen

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Kolumne KW37 „Wahlsonntag“

Wahlsonntag

 

Heute sollen wir eigentlich entschei­den, wer uns im Landtag vertritt. Man hat eine große Auswahl zwischen verschiedenen Parteien und macht seine beiden Kreuze, warum es zwei sein sollen, ist mir noch nicht so aufgegangen, irgendwo hin. Wen wir ankreuzen sollen, sollen wir wahrscheinlich anhand der Menge der Plakate, von denen uns durchweg sympathische Gesichter und Parolen anlächeln, entscheiden. An unserer Laterne hing erstaunlicherweise gar kein Plakat und da unser Horizont nicht viel weiter reicht, als bis zu dieser Laterne, war ich um eine Wahlentscheidung verlegen.

Meine Frau sollte nicht nur der Bürgerpflicht der Wahl nachkommen, sondern auch noch Wahlhelfer sein. Das ist ein halber Zwang, man kann sich der Entscheidung der staatlichen Instanz, in diesem Falle der Gemeinde, nicht entziehen, es sei denn, es lägen wichtige Gründe vor. Ehe man da mit der Wucht des Gesetzes in Konflikt kommt, gibt man da eben nach und wir müssen heute sehen, wie wir allein zurechtkommen.

Morgen ist jedenfalls wieder ein normaler Tag und wir werden erfreut zur Kenntnis nehmen, wie stark unsere Stimme gewogen hat und wie viele andere der gleichen Meinung waren, wie wir.

Das hat ja etwas mit Statistik zu tun und das ist auch gerade das, womit ich mich ansonsten beschäftige, allerdings mit noch nicht allzu viel Erfolg. Jedenfalls ist sicher, dass das Ergebnis nicht davon abhängt, wie ich mich entschieden habe, denn, wenn auch nicht alle zur Wahl gehen, sind es immer noch genug, dass ihre Meinung überwiegt. Das ist ja dann auch das Prinzip der Demokratie, dass die Mehrheit immer wichtiger ist, als man selbst.

Es könnte nun sein, dass es einen Menschen gibt, der nicht nur anhand der Laterne vor seinem Fenster, und wenn dort gerade kein Plakat hängt, einfach willkürlich entscheidet, sondern sich intensiv mit den Unterschieden der Kreuze auf dem Wahlzettel beschäftigt hat und dessen Weisheit so weit reicht, dass er die jeweils richtige Variante herausfände. Diesem weisen Mann bliebe nun an diesem Sonntag auch nichts weiter übrig, als sein unbedeutendes Kreuzchen zu machen.

Es wäre sinnvoll, sich diesem Mann, der am besten nicht selbst ein Politiker sein sollte, in seiner Meinung anzuschließen. „Wenn Du selbst kein Ganzes schaffen kannst (Dich selbst derart vervollkommnen, wie der gedachte Weise (der Verfasser)), so schließe Dich an ein Ganzes an“, meinte Schiller dazu, und das soll ja nun auch das Prinzip der Wahl sein. Wir sollen uns aber den Politikern selbst anschließen und so haben wir uns diesen Weisen ja nun nicht vorgestellt. Vielleicht sind ja die Politiker diese Weisen und die Welt ist in Ordnung.

Christian Rempel im Waltersdorfe
12.9.2014