Jeanne d’Arc
Ähnlich wie Jesus eigentlich nicht von den römischen Besatzern, sondern seinen Landsleuten gerichtet wurde, geriet Jeanne d’Arc, die sagenhafte Jungfrau zwar in englische Gefangenschaft, denn die Briten hatten im 15. Jahrhundert große Teile Frankreichs besetzt, aber auch sie wurde von ihren Franzosen selbst verurteilt, die sie der Hexerei für schuldig befanden, und der König, dem sie ein Jahr gedient hatte und ihm das Blatt gewendet, rührte keinen Finger, sie zu retten.
Alles, was man der Nationalheldin hatte vorwerfen können, war, dass sie in ihrer Kindheit Blumenkränze an einer Buche, einem Feenbaum, der bei Schiller zu einer Eiche wird, befestigt hatte und dass sie vielleicht aus eigenem Antrieb gehandelt hatte, als sie siebzehnjährig zum König aufbrach, nicht nur, um ihm Orléans, das etwa 200 km südlich von Paris liegt, an der Loire, die halb Frankreich durchmisst, zum Atlantik hin, zu befreien, sondern ihm auch noch zur Krönung zu verhelfen und den hundertjährigen Krieg zwischen Briten und Franzosen zu entscheiden.
Zum König waren das von ihrem Heimatdorf Domrémy, nordöstlich von Burgund, fast 600 km, zum größten Teil durch Feindesland, in westlicher Richtung zu dessen Residenz in Chinon. Zu den ersten Wundern, die Jeanne vollbrachte, die sich immer von den „Stimmen“ leiten ließ, was doch heute ein Fall für die Klapsmühle wäre, dass sie Karl VII., den sie den Dauphin nannte, überhaupt erkannt hat, denn er hatte sich mit seinem Hofstaat gemein gemacht und war auf Anhieb nicht zu entdecken.
Ihr kam zu Pass, dass es die Legende gab, dass eine Frau, gemeint war die Mutter von Karl, die zur anderen Seite übergelaufen war, Frankreich ins Unglück stürzen würde und eine Jungfrau Frankreich erretten würde. In dieser Rolle sah Jeanne sich, aber der misstrauische König ließ sie erst prüfen, die nicht mal lesen und schreiben konnte und ihre christliche Bildung allein ihrer Mutter zu verdanken hatte.
Dieser Karl VII. kommt bei Schillers „Jungfrau von Orléans“ sehr gut weg, aber er war doch eher ein Schwächling, unter dem Einfluss seiner höfischen Berater stehend. So überließ es der König der unerfahrenen Jungfrau, die englische Belagerung von Orléans zu lösen. Als das gelungen war, führte sie den König durch Feindesland in das auch 500 km entfernte, nordöstlich von Paris gelegene Reims und sorgte für seine Krönung. Anschließend wäre erst mal müßiges höfisches Leben angesagt gewesen, aber Jeanne drängte zu weiteren Feldzügen, wollte auch Paris wieder in die Gewalt der Franzosen bringen. Derweil residierte der frischgebackene König in Compiègne, nördlich von Paris und sah mit wachsendem Widerwillen, dass die Jungfrau im kriegerischen Streben nicht ruhte und so gar nicht als Zierde des Hofstaats herhalten wollte. Dort wurde sie dann auch schmählich im Stich gelassen und geriet zunächst in Gefangenschaft der mit den Engländern verbündeten Burgunder, die sie dann als Gefangene an die Engländer verkauften und ihr dann in Rouen, nordwestlich von Paris, der Prozess gemacht wurde. Sie hatte eine qualvolle Gefangenschaft und man brachte sie ein Dreivierteljahr später auf den Scheiterhaufen.
Wenn es stimmt, dass die Geschichte dazu da ist, um in der dramatischen Dichtkunst dargestellt zu werden, wie Goethe meinte, sollte man ruhig noch einmal Schillers Drama betrachten, das diese historischen Begebenheiten zum Stoff hat. Friedrich Schiller spitzt die Sache schon in Reims zu, als der König gekrönt wurde, und das war ja auch der Zenit von Jeannes Schicksalssonne. Er legt den Vorwurf der Hexerei in den Mund von Jeannes Vater, dem man natürlich in keiner Weise widersprechen konnte. Dieser Vorwurf kommt in einem Moment, wo Jeanne schon angeschlagen ist, weil ihr droht zur Dekoration des königlichen Hofes zu verkommen. Mit einem Mal schlägt die Stimmung um und man glaubt ihr ihre lauteren Absichten nicht mehr. Der König sichert ihr gerade mal noch freies Geleit zu. Sie flieht mit einem einzigen Getreuen in den Wald und gerät in englische Gefangenschaft. Die Aufsicht führt Karls abtrünnige Mutter höchstpersönlich und Jeanne d’Arc liegt, wie im wahren Leben, in schweren Ketten. Als die Franzosen aber hören, dass sie gefangen, schlägt die Stimmung noch einmal um, und man will sie befreien, was ja nun leider im wirklichen Leben keiner versucht hat. Jedoch die Franzosen drohen zu unterliegen und der König ist fast schon gefangen, da geschieht ein Wunder und Jeanne d’Arc kann sich befreien, in die Schlacht eilen und noch ein letztes Mal das Blatt wenden, wobei sie tödlich verwundet wird.
Die Biographen bescheinigen Jeanne einen Sinn für dramatische Auftritte und das war sicher ein Gutteil ihrer psychologischen Wirkung. Sie hatte sich eine weißschimmernde Rüstung anfertigen lassen und ein weißes, purpurgesäumtes Banner erbeten, mit der über der Weltkugel schwebenden Jungfrau Maria darauf. Bei Schiller ist sie bewundert, männlichen Begierden ausgesetzt und mordet Engländer nur so dahin. Sie selbst aber sagte von sich, nie einen Menschen getötet zu haben.
Christian Rempel im Waltersdorfe, den 28.12.2015