Der Gedichtladen

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Kolumne KW 25 2016 „Gang der Natur“

Gang der Natur

 

Hätten die Kirschen am Baum eine Seele, etwa wie die Brote bei der Goldmarie, so würden sie rufen: „Pflücke uns, pflücke uns, wir sind alle ganz reif!“ Die Kirschen in der Kaufhalle kann man sich schon viel schwerer mit einer Stimme vorstellen. Sieht man sie da teuer ausgepreist legen, so scheinen sie zu verkünden: „Kauf uns nicht, denn wir sind schon gekauft. Man bietet uns nur für einiges Geld mehr an. Uns ist die Freude abhanden gekommen.“

Die Stimmen der Natur gehen höchstwahrscheinlich nicht von ihr selbst aus, sondern wir interpretieren sie hinein. Eigentlich vermittelt sie uns nur ein Gefühl, manchmal wollen wir ihr auch einen Willen aufzwingen, stellen dann aber fest, dass es auch einen Willen außer uns gibt. Man kann manchmal eine Hecke bewundern, in der sich die Natur unterworfen hat und genauso wächst, wie man es haben wollte, manchmal sogar Skulpturen bildend. Ist das ein Ausdruck, dass es dem Gärtner gelungen ist, seinen Willen dem der Natur einzuimpfen? Solch ein Gärtner ist nur zu bewundern, vielleicht auch die Natur für diese Fähigkeit.

Jetzt scheint es besonders der Wille der Menschheit zu sein, die Dinge wieder zu vereinfachen. Man zieht sich aus den Zwängen, die eine immer komplizierter gestaltete Welt ausübt. Das ist besonders im rechten Spektrum zu verzeichnen, und was in Österreich letztens noch nicht gelungen ist, haben die Britten jetzt in die Tat umgesetzt. Die Europäer meinten der Welt gut zu tun, indem sie blödsinnig in gewachsene Strukturen einzugreifen versuchten, den Willen des einfachen Menschen zu überwinden. Das sind natürlich nicht die Europäer sondern eine erstarrte Bürokratie, der die Idee einer Völkerverständigung in ihren Amtstuben erstarrt ist, zu Staub wurde, der sich als störend auf die Aktendeckel legt. Man merkt plötzlich, wie sehr man über den einfachen Menschen hinweggegangen ist.

Ist das nicht alles ein bisschen, wie beim Umgang mit der Natur, wenn man nur auf die Stimmen lauschte, würden sie flüstern: „Lasst uns endlich unser selbstbestimmtes Leben führen und wenn wir eine 100 W Glühbirne kaufen wollen oder mit Blei löten, dann lasst uns das tun.“

Dem Bürokraten ist eine trügerische Macht gegeben. Er kann verordnen und aufschreiben, was er will, aber eines Tages meldet sich eben dieses Stimmchen und alles wird zu Staub.

Christian Rempel in Zeuthen, den 26.6.2016