Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Kolumne KW 31 / KW 32 2016 „Gruselpotenzial“

Gruselpotenzial

 

Dem Vergesslichen wird heute viel an die Hand gegeben. Wenn man auf dem Handy vergessen hatte, was man eigentlich schreiben wollte oder sich vertippt hat, werden einem die richtigen Worte angeboten, natürlich nur die einfachsten und naheliegendsten, wenn man mal ein ungewöhnliches Wort verwendet und das sogar im gleichnamigen Programm Word, wird es vom amerikanischen Oberlehrer rot angestrichen, als wäre das ein Fehler gewesen. Man soll sich einfach ausdrücken und möglichst Banales schreiben.

Als ich nach einem einigermaßen turbulenten Tag die chaotische Küche sah, war ich einen Moment versucht, davon eine Aufnahme zu machen und es dabei bewenden zu lassen, so nahe werden einem die Bilder als Kommunikationsmittel gebracht. Vielleicht auch ein Davor- und ein Danachbild oder besser noch ein Video von dem ganzen Aufräumprozess.

Mein Laptop weiß, was ich am Handy eingestellt habe an Kontakten und der umgekehrte Weg funktioniert genauso geisterhaft. Man muss nicht einmal ein Kabel anstecken oder eine kurzreichweitige Bluetooth­ver­bindung aktivieren, nein, es wird alles in den großen Datenpool geswapped, der sich Internet nennt und auf dem riesigen Umweg um die ganze Welt kommt die Information letztlich beim danebenliegenden Gerät an. Das ist natürlich sehr bequem und spart viel Arbeit, nennt sich Synchronisation, aber an den Daten saugen dunkle Kräfte, von denen man ja im Prinzip weiß. Auch wenn man einen Kontakt einmal löschen sollte, bleibt er für einen selbst zwar unwiederbringlich, aber irgendwo wird gespeichert, dass man an dem und dem Tage in der und der Minute, sich dazu entschlossen hat und natürlich auch, welchen Kontakt man einmal und wann gehabt hat. Das ist alles technisch machbar, und was machbar ist, wurde auch schon immer praktiziert, aber wen es nicht gruselt bei diesem Gedanken, der lebt einfach in den Tag hinein oder hofft, dass die Menge der Daten sowieso unüberschaubar sein sollte.

Man sitzt aber an einem Einga­begerät für diesen mächtigen Supercomputer Internet und gibt die Informationen so mundge­recht ein, dass sie sich umso besser auswerten lassen, je weniger rote Unterstreichungen man zulässt. Ob diese Roboter auch schon der Poesie beigekommen sind, lässt sich bezweifeln, jedenfalls könnte es gute Poesie sein, bei der jedes Wort rot unterstrichen ist.


Christian rempel in Zeuthen, den 13.8.2016