Buchhandlungen
vertreiben die Langeweile. Eigentlich wollte ich an diesem heißen Spätsommertag ein Eis essen, doch als ich die vielen Müßiggänger Sahnekugeln und Erdbeeren schaufeln sah, dachte ich, da möchte ich doch nicht dazugehören und außerdem ist ja Sparsamkeit angesagt. Also suchte durch die vielen Marktstände den Eingang der Buchhandlung Radwer, die recht gut sortiert ist.
Da strahlte mich doch eine Prachtausgabe der Novelle „Djamila“ von Tschingis Aitmatow an, herausgebracht im Inselverlag. Ich weiß gar nicht, ob ich das jemals gelesen hatte, aber immerhin haben wir danach unsere zweite Tochter benannt.
Der Schriftsteller siedelte seine Geschichten ja meistens in seiner kirgisischen Heimat an, die unweit von Kasachstan liegt und die von nomadisierenden Viehhirten besiedelt war. Diese Novelle spielt aber 1943, also mitten im zweiten Weltkrieg, wo in jeglichem Hinterland der Sowjetunion für die Ernährung der Front zu sorgen war, obwohl doch die meisten Dschigiten, so die ausgewachsenen Männer, an der Front waren. Djamila ist die Frau eines solchen Frontsoldaten, der inzwischen verwundet im Lazarett lag und von dem immer nur mal ein Brief eintrifft, wo er förmlich der Reihe nach alle Familienmitglieder ansprach, der Hierarchie entsprechend die Ältesten zuerst und erst ganz zum Schluss noch einen Gruß an seine Frau nachschob.
Djamila ist aber ein lebensvolles junges Mädchen und der Icherzähler ist ein noch minderjähriger Junge, der es übernommen hat, auf seine Dshene (Frau des älteren Bruders) achtzugeben und sie kindlich liebt und von ihr als Kitschine bala (kleiner Junge) bezeichnet wird. In dem Aul (Dorf) lebt nun noch ein Frontheimkehrer, Danijar, der ein recht in sich gekehrter junger Mann ist und als Waisenkind aufwuchs.
Die drei haben die Aufgabe, täglich Getreideladungen durch die Steppe zur Bahnstation zu fahren und dort im Kornspeicher zu entladen. Während der Fahrt durch den ariden Sommer, singt Djamila des Öfteren, während der Junge und der Frontheimkehrer immer stumm dasitzen und ihre Wersts herunterschrubben. Scherzhaft fordert Djamila Danijar immer mal wieder auf, auch ein Lied zu singen und eines Tages geht er tatsächlich darauf ein, erst mit heiserer ungeübter Stimme und dann immer volltönender. Die innere Welt, die er damit offenbart, rührt den Jungen und Djamila zutiefst und es ist unverkennbar, dass Danijar und Djamila ineinander verliebt sind und zwar so, wie sie es beide noch nie erlebt haben und es überhaupt ganz einzigartig ist. In der gestrengen Welt eines kirgisischen Dorfes ist das natürlich alles ein unvorstellbarer Vorgang und wäre man ihner habhaft geworden, hätte ihnen der Tod gedroht, aber das wird nicht problematisiert und beide ziehen unbescholten fort und lebten bestimmt ein friedliches Leben in der Fremde.
Die Novelle will ja gar nicht gesellschaftskritisch sein, sondern findet Worte für das einzigartige Wunder der Liebe.
Christian Rempel in Zeuthen, den 13.9.2016