Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Kolumne KW 10 2017 „Marx“

Marx

 

So einen Film kann man sich nur in einem Szenekino ansehen, an den Fleischtöpfen des Kapitals, wie im A10, wäre das vollkommen deplatziert. Filmisch lässt sich inzwischen aus dem 19. Jahrhundert einiges herausholen, da gab es noch echtes Elend, aber man konnte auch noch allerorten rauchen, und wenn das Geld noch so knapp war, für eine gute Zigarre und ein Glas Wein reichte es immer noch. So aus dem Vollen, wenn man dem Film über den jungen Marx glauben darf, hat dieser in der Zeit seiner Jugend auch gelebt.

Es ist natürlich auch echtes Elend da, das sich inzwischen cineastisch in Szene setzen lässt, als wäre es ein Film über die alten Römer. Dann die Frauengestalten, die einem vielleicht doch ein wenig zu gegenwärtig vorkommen, wie auch die männlichen Darsteller, die man allesamt in Kostüme des vorletzten Jahrhunderts gesteckt hat und die wohl doch moderne Menschen bleiben. Erst hat man den Eindruck, dass es vielleicht doch nicht gelänge, die geistige Arbeit, die ja hinter dem ganzen Geschehen gesteckt hat, ins Filmische zu übersetzen, aber als es dann ans Kommunistische Manifest geht, das ja eine gewisse poetische Gewalt hat, gelingt das dann doch noch.

Es gehört heute schon Mut dazu, das Wort „kommunistisch“ in den Mund zu nehmen, aber was dem Film auch gut gelang, war die damaligen Arbeits- und Lebensverhältnisse so ins Bild zu setzen, dass einem verständlich wurde, wie man, um eine Theorie bemüht, zu gar keinen anderen Schlussfolge­rungen kommen konnte, als dass es sich um einen Antagonismus handelt, also einen unvereinbaren Gegensatz. Deutlich wurde auch, wie sich diese Bewegung aus einer moralischen entwickelt hat, in der Kategorien wie Gerechtigkeit und Brüderlichkeit im Vordergrund standen. Es ist auch klar, dass man eine vorwiegend ökonomisch begründete Theorie auch mit solchen Attributen versehen muss, wenn sie erfolgreich sein soll. Dieser menschliche Aspekt musste natürlich Poesie werden.

Auch muss man wohl jener Zeit ein ausgeprägtes Geistesleben bescheini­gen und dieser Dr. Marx war wohl nicht nur als Manifestschreiber gebraucht, sondern wurde auch von der anderen Seite wahrgenommen. So konnte er ernsthaft ins Auge fassen, statt Aktionen mal wieder ein Buch zu schreiben und damit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Das sollte heute mal einer sagen: Ich brauche Geld, ich schreibe ein Buch. Damals war ja die diesbezügliche Werbemaschinerie noch in den Kinderschuhen, aber die Neugier und Fähigkeit, einem Gedankengang zu folgen und sich davon überraschen zu lassen, waren noch ungleich größer. Ja, die gute alte Zeit …

Christian Rempel in Zeuthen, den 11.3.2017