Der Gedichtladen

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Kolumne KW 18 2017 „Füllermystik“

Füllermystik

 

Kaum einer weiß, dass man einen Kolbenfüller, also aus dem Tintenfass zu füllen und nicht mit den verpackungsintensiven Patronen versehen, heute nur ab 100 Euro aufwärts erstehen kann. Daher eignet sich so eine Anschaffung weniger für die Privatschatulle, sondern ist eher in die Kategorie der etwas wertvolleren Geschenke einzu­ordnen.

Man kann sich auch fragen, wozu man solch ein teures Stück braucht. Da kann es nun sein, man ist in einer Kantine und einem der Anwesenden ist gerade der Nobelpreis verliehen worden, wie es zum Beispiel beim Film Beautiful Mind dargestellt ist. Dann hat man sich nämlich gemessenen Gangs zu diesem zu begeben und ihm schweigend seinen Füller hinzulegen, den man nun weniger braucht, weil derjenige ja schon einiges geschafft hat und es auch weiterhin von ihm zu erwarten steht.

In diese Verlegenheit bin ich noch nicht gekommen, trage aber meistens ein solches Wertobjekt bei mir, weil der Fall ja jederzeit eintreten kann. Auch mir wurde ein solcher Kolbenfüller als Geschenk meiner Frau zuteil und ich benutzte ihn vor Jahren oft, als ich Zeit am Schreibtisch verbrachte. Durch einen Telefonanruf gestört, stand ich auf und lief umher. Anschließend war der Füller trotz langen Suchens nicht mehr auffindbar, obwohl kein Nobelpreisträger in der Nähe gewesen war.

Meine damals noch sehr verständnisvolle und zuwen­dungs­bereite Frau hat mir dann einen neuen gekauft, den ich anfangs als etwas dünn schreibend empfand, ich mich aber auch daran bald gewöhnte. Besonders gut ließen sich damit Sudokus in der Zeitung lösen, weil man fast nicht aufdrücken muss.

Nun gibt es eine Liste, die ich führe und die die Geburtstage der Familie zum Inhalt hat. Eines Tages war eine größere Gesellschaft bei uns versammelt, auch mit Kindern, die ja noch so klein waren, dass sie noch kleinere Teile verschlucken können und so jung auf der Welt, dass sie erst noch per Füller provisorisch eingetragen werden mussten. Anschließend war dann auch dieser Füller weg.

Als ich dieser Tage in meinen Ordnern etwas vergeblich suchte, klackerte es plötzlich auf dem Boden und da lag, nach vierzehn Tagen ohne Füller, der erste wieder da, der so ideal geschrieben hatte.

Was will mir dieses wertvolle Schreibgerät sagen? Dass ein frischgebackener Nobelpreisträ­ger bald in meinen Dunstkreis gerät oder dass die Zeiten zurückkehren, wo ein liebenswertes Wesen einem noch solche Geschenke machte? Auf jeden Fall ist er erst mal wieder da und konnte schon vier Sudokus in Folge in der Zeitung lösen.

Christian Rempel in Zeuthen, den 7.5.2017