Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Kolumne KW 26 2017 „Generationen“

Generationen 

In meinem Alter (64) ist man ja geneigt, vieles zu ertragen, über die Aufwallungen des Gemütes die Pflichten nicht zu vergessen und in allem etwas maßvoll zu sein. Insbesondere bezieht sich das auf die Vermeidung von Gewalt, womit sich dann allerdings nicht alle Probleme lösen lassen. Was dann bleibt, ist nicht mehr die Sehnsucht, geliebt zu werden, sondern es ist die Sehnsucht, selbst lieben zu können, die sich viel schwerer erfüllt.

Hat man dann mit jungen Leuten zu tun, sieht man schon, dass es auch Aggression gibt, aber vielleicht auch lebensvollere Liebe. Da wird ebenso schnell eingerissen, was noch gar nicht ganz aufgebaut ist, wobei wir uns doch gerade mit dem Einreißen schwer tun als alte gesetzte Leute, obwohl es eben das Holz ist, aus dem auch die Natur gemacht ist, wo manchmal Überschwemmungen, Vulkanausbrüche oder Feuer alles zunichtemachen.

Man kommt dann zu der Schluss­folgerung, und das ist schon altklug genug, dass jede Seite dieser Medaillen ihre Berechtigung hat, dass es das Gemessene und das aufrührerisch Zerstörerische geben muss. Dass man immer wieder auch in letzteres mit hineingezogen wird, dass man sich nicht ausruhen kann und dass man eines Tages abtreten muss und auf nicht viel Geschaffenes zurückblicken kann.

Da gibt es heute so viele Lebens­entwürfe, die auf den ersten Blick keinen anderen Eindruck erwecken als die totale Kaputtheit. Da gibt es Frauen, die nicht mehr schön sein wollen, Männer, die nicht mehr stark sein wollen und weinen, gibt es Kinder, die keine Grenzen mehr erfahren, und Eltern, die sich in ihrer Besorgtheit fast schon dem Leben verweigern. In all diese Dinge ist keine Ordnung mehr zu bringen und Populisten, die verheißen, sie wieder herzustellen, müssen kläglich zurück­rudern, wenn man sie dann mal aus Ratlosigkeit ans Ruder lässt.

Persönliches Glück ist eine Seltenheit geworden. Ich suche es in extremen Vorstellungen, wie eine Frau zu heira­ten, die man noch nicht mal geküsst hat, man eine grandiose Antizipation des Glücks zur Grund­lage nimmt, und meine Tochter sieht die Romantik im Alltag, sich zu streiten und wieder zu vertragen, all die kleinen Dinge gemeinsam zu bewältigen.

Glück hat eben viele Gesichter und nichts ist so sehr zu wünschen, als dass jeder eine Facette davon zu sehen bekommt.

Christian Rempel in Zeuthen, den zum 2.7.2017