Die Hauptstadt
Man könnte meinen, dass man zumindest das Buch, das den deutschen Buchpreis alljährlich bekommt, dann auch gelesen haben müsste. Ich musste aber mal wieder feststellen, dass dem nicht so ist, dass man auf die meisten der so gekürten Werke verzichten kann.
So ein Ruf geht auch dem Buch „Die Hauptstadt“ von Robert Menasse voraus. Vielleicht ist Ihnen noch gar nicht aufgefallen, dass man den Begriff Hauptstadt in Bezug auf Europa vermeidet. Das ist also auch nicht Brüssel, diese Stadt ist lediglich der Sitz der Europäischen Gemeinschaft. Aber Politikchinesisch gibt es genug in dem Buch, und das erweist sich als einigermaßen kunstfremd. Im Ansatz hat sich Menasse ein großes Vorbild zum Muster genommen, nämlich den „Mann ohne Eigenschaften“ von Namensvetter Robert Musil. In diesem Buch geht es auch um ein Jubiläum, wobei man sich vor dem deutschen Einfluss gefürchtet hat und die Aktion als „Parallelaktion“ bezeichnete. Dem stellt Menasse ein Jubilé gegenüber, irgendein Jahrestag der EU, der noch nicht zu nah, aber auch nicht zu fern ist, um eine gründliche Vorbereitung zu ermöglichen. Aber der Beamtensumpf ist unergründlich und saugt diese Idee so auf, dass von ihr nichts mehr übrig bleibt, sie letztlich verhindert wird.
Man hat bei diesem Roman den Eindruck, dass sich der Autor ein Mindmap angefertigt hat, wo er die Personnage eingetragen hat und reichlich mit Gags und Lebensgeschichten ausgeschmückt. Das alles wird dem geduldigen Leser mitgeteilt und er kann sehen, wie er mit diesen weitgehend überflüssigen Informationen zurechtkommt. Dabei kommt er regelmäßig vom Hölzchen aufs Stöckchen, dass alles einen unsystematischen Eindruck macht. An Unglücksfällen mangelt es auch nicht, weil ihm keine innere Spannung oder tiefere Charakterzeichnung gelingt. Die Handlung bleibt immer wieder stecken, weil wieder eine andere Belanglosigkeit ausgebreitet werden soll.
Aus dem Jubilé wird natürlich auch nichts, auch nicht aus den Nachforschungen in einem Mordfall. Insofern hätte diese Zumutung, die dieser Roman wohl ist, noch weiter ausgedehnt werden müssen. Über eine Zielrichtung wäre der Autor allerdings auch dann verlegen gewesen, ein richtig einprägsamer Roman ist ihm auch nicht gelungen, und Verrücktheiten, wie eine europäische Hauptstadt in Auschwitz vom Reißbrett aus zu gründen, kann man wohl auch nicht ernst nehmen. Diese Beamtenschaft in Brüssel gibt so ein trauriges Bild ab, dass man so recht deprimiert aus dieser Lektüre herausgeht.
Aber welcher zeitgenössische Roman ist denn nicht deprimierend, insofern bedient er nicht mehr als den Mainstream.
Christian Rempel in Zeuthen, den 25.3.2018