Der Gedichtladen

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Kolumne KW 26 2018 „US-Philie“

US-Philie 

Einen richtigen Plot hat Uwe Timm, Jahrgang 1940, nicht, wenn er eine fiktive Handlung zum Kriegsende erfindet und das Ganze noch mit dem nur am Rande gestreiften Titel „Ikarien“ versieht. Das war nämlich eine kommunistische Utopie, entworfen von Étienne Cabet in dessen Buch „Reise nach Ikarien“.

Diese Utopie mit dem vielleicht klangvollsten Namen wurde verwirklicht, aber nicht dort, wo man den Kommunismus hatte aufzubauen versucht, sondern in den Vereinigten Staaten, wo ja auch einiges möglich war. Das war allerdings zur Wende zum 20. Jahrhundert und war gescheitert, während sich religiös behaftete Modelle viel länger hielten, was natürlich die Frage aufwirft, ob es denn wirklich ohne Religion geht, wenn man solch radikale Veränderungen erreichen will. Diese Frage wird auch gestreift in dem 2017 erschienenen Roman, aber eben nur gestreift, wie so manches, sodass sich das Bild einer Wirrnis ergibt.

Für diese Wirrnis haben sich die Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg angeblich interessiert, was man wohl auch getrost ins Reich der Utopie verweisen kann. Ein eigens monatelang abgestellter amerikanisch­er Offizier hört sich das Gelalle eines Außenseiters an, der mal mit einem Eugeniker befreundet gewesen ist und zu Kriegsende dann achtzig Jahre alt. Diese Mischung von Belanglosem und Geschichtlichem ist offenbar gewollt und soll aus dem Elaborat einen Roman machen, der aber zu einem Monstrum geraten ist.

Die Amerikaner, die es sich nach gehabtem Sieg in old Germany so richtig gut gehen lassen, von zu Hause mit Raritäten versorgt und denen die Mädchen nur so ins Bett fliegen, sich es in requirierten Villen wohl sein lassen und in beschlagnahmten No­bel­karossen durch Bayern kutschieren, sind genauso geistlos, wie es inzwischen fast alle sind. Sie borgen sich Geschichte, die in Blut und Schweiß erkämpft wurde und sehen alles als ein touristisches Kurio­sitätenkabinett.

Der Autor, der diesen ernüchternden Zeitabschnitt zum Dreh- und Angelpunkt nimmt, ist mindestens genauso oberflächlich und meint, dem Leser sei gedient, wenn er weiß, dass der Zaunkönig im Englischen einfach wren heißt. In Wirklichkeit wurde alles von Wert unter die Lupe genommen, so hielten es auch die anderen Allierten und wenn es ging, weggeschleppt. Das war wirklich eine totale Niederlage, die dem von Deutschland angezettelten totalem Krieg folgte. Die Amerikaner sind ja im Gegensatz zu den Russen dann auch nicht nach 40 Jahren verschwunden, sondern behielten ihre Basen, hören legitimiert ab und verfolgen jede geistige Regung, manchmal sogar, indem sie selbst die Oppositionellen und Außenseiter finanzieren und ihnen das Gefühl geben, besonders wichtig zu sein. Dabei sind wahrscheinlich fast alle von Gnaden der USA und ein selbständiges Leben fast gar nicht mehr möglich.

Christian Rempel in Zeuthen, den 27.6.2018