Marcel Proust
Von jedem großen Schriftsteller kann man etwas lernen, so auch von Marcel Proust, der das Leben eines Dandy geführt haben soll und die letzten Jahre seines Lebens in einem schalldichten Raum schreibend verbrachte. In „Eine Liebe Swanns“ beschäftigt er sich mit einem reichen Bürgerlichen, der nach einigen kunstgeschichtlichen Studien ein müßiges Leben in Paris führt, sich dabei in eine Dame zweifelhaften Rufs, den er allerdings nicht wahrhaben will, verliebt und dann wohl mehr oder minder alle Höllenqualen der Eifersucht durchlebt, an dem sich seine Liebe abarbeitet, die nicht auf echte Gegenliebe, sondern eher weibliches Geschick der Odette de Grécy trifft, er aber auch nicht vollkommen daran zerbricht, wie auch sie sicher einen anderen Gönner gefunden haben wird, sondern sich diese Liebe in der Gedankenarbeit auflöst, in die uns Proust stürzt.
Er scheint mir ein Logiker der Gefühle und braucht einigen Raum, um diese durchaus logischen Schlussfolgerungen zu ziehen, die man wohl auch erschöpfend nennen könnte. Die Psychologie ist ja ein unendliches Ding, und man wundert sich, dass er nicht noch mehr davon dartut. Eigentlich sind es nur wenige Sätze und Begebenheiten, von denen das Buch lebt. Natürlich ist es das müßige Salonleben in Paris um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert, das er thematisiert und es kann einen nicht recht ergreifen, zumal er es bei Odette bei ihren gehüteten Geheimnissen belässt und einem nicht mehr Aufschluss gibt über ihre Befindlichkeiten als der gehörnte Liebhaber selbst herausfindet. Mit diesem wiederum kann man auch kein rechtes Mitgefühl entwickeln, weil er ja ein Müßiggänger ist und sich nie ernsthaft an die von ihm geplante Vermeerstudie macht, sondern ihr offenbar jahrelang hinterherspioniert. Immerhin findet man sich selbst als Mann wieder, der ja mit der Untreue und Unberechenbarkeit der Frauen auch genug zu tun hatte. Besonders berührte mich, wie Swann diese Dinge streckenweise von sich fernzuhalten versucht. Das ist wohl auch heute die ideale Herangehensweise, die mir gerade in der jetzigen Lebensphase sehr nahe ist.
Immerhin lernt man, und insofern mutet der Roman sehr modern an, Befindlichkeiten und wie und warum sie sich ständig ändern, ein bisschen zu verstehen. Darin ist Proust bestimmt ein Meister, der auch ein hohes kulturelles Niveau besitzt, wenn er zum Beispiel Musikstücke in Prosa beschreibt. Also insgesamt nicht gerade ein Verlust, das mal wieder zu lesen.
Christian Rempel in Zeuthen, den 16.4.2019