Jenny Treibel
Wir haben ja immer noch das Fontanejahr und da kann man schon mal wieder in seine oder des Vaters Bibliothek schauen und nachsehen, was Fontane da noch zu bieten hat. Nun, nach gehabter Lektüre, ist es mal wieder Zeit, sich in die märkischen Lande zu begeben, allerdings nicht mit einer Kalesche, wie er zu tun pflegte, sondern ganz einfach zu Fuß und sehen, was einem da so an Eindrücken begegnet. Es ist ja sieben Jahre her, dass ich das Brandenburgische bis Guben durchstreifte und jetzt soll es wenigstens noch einmal die erste Etappe werden, bis Bestensee und zurück.
Da wird auch Zeit sein, seine Gedanken zu Fontanes Werk Jenny Treibel zu ordnen und darin zu schwelgen. Diese Frau eines Berliner Industriellen, dem Hersteller des Berliner Blau, stammte aus ganz einfachen Verhältnissen, aus einem Apfelsinenladen in der Adlerstraße, hat ihr Embonpoint schon überschritten und erlaubt sich nur noch gelegentlich, sich an die Liebe zur Lyrik zu erinnern, die sie besonders mit einem später zum Professor avancierten Dichter verbindet, der natürlich auch schon längst die dichterische Passion an den Nagel gehängt hat und eben seinen akademischen Pflichten nachgeht. Sowohl Jenny Treibel als auch der Professor Schmidt haben schon heiratsfähige Kinder, und wie diese Dinge so gehen, kommt bei der Professorentochter Corinna der Wunsch auf, eine Ehe mit dem Fabrikantensohn zu schließen, was aber die Frau Mama gründlich hintertreibt.
Der Sohn, der verlobte Leonard, bleibt absolut blass und kann sich nicht aus dem mütterlichen Regiment lösen, schreibt, als die Verlobung ruchbar geworden, seiner Braut unentwegt Briefe, in denen er immer wieder seine unverbrüchliche Liebe strapaziert, was aber Corinna, die eine mutige Tat erwartet hatte oder wenigstens einen Besuch, maßlos enttäuscht, sodass die täglichen Beteuerungsbriefe bald zu kleinen Schnipseln verarbeitet werden.
Dies nun ist allerdings auch ein wunder Punkt von mir und muss vielleicht jeden, der aufs Schriftliche vertraut, verunsichern, denn auch ich kann meine heimliche Leidenschaft nur schriftlich ausdrücken und eigentlich müsste das doch einem Literaten wie Fontane mehr gelten als das Schicksal zu erfahren zu Schnipseln verarbeitet zu werden.
Meine diesbezüglichen Avancen gegenüber der Angebeteten sind auch nur schriftlicher Natur und haben zwar nicht das Schicksal zu Schnipseln zu werden, aber sie nehmen auch nicht gerade einen Ehrenplatz in den Habseligkeiten der geliebten Person ein. Manchmal gibt es bei ihr den schwachen Impuls, diese kleinen Werke mal zu ordnen und mit einem fahlen Bändchen zu versehen, um sie für spätere, der Erinnerung gewidmete Zeiten aufzuheben, aber sie wiegen eben nicht so schwer, wie ein in aller Gegenwart gesprochenes Wort.
Aber gibt es nicht eben auch Unterschiede, manch einem gilt das Wort, der anderen aber das Geschriebene. Und hat man wirklich selber die Wahl? Bei Jenny Treibel werden letztendlich alle glücklich, Corinna ehelicht ihren Cousin und auch Leonard wird wohl nicht ohne Ehespons geblieben sein.
Es ist eine so schöne Charakterstudie Fontanes, dass man sie gern noch ausführlicher gelesen hätte, aber er hat es bei einer ziemlich rasanten Wendung zum bürgerlich normalen belassen. Beinahe möchte man meinen, er sei etwas in Eile gewesen, als er das schrieb.
Ich eile mich nun, Ihnen diese kleinen Eindrücke nebst persönlichem Schicksal nahezubringen. So viel man auch liest, seinen Lebensweg muss man allein finden, und wenn dabei nicht sein eigenes Glück, so ist es einem vielleicht wenigstens beschieden, sich an einem gelesenen oder gehörten Glück zu erfreuen. Hauptsache es gibt noch Glück auf Erden.
Christian Rempel in Zeuthen, den 15.11.2019