Raunächte II
Nach der ersten Raunacht sollte gleich die zweite folgen, die nebulös, wie er eben ist, vom Tode handelt, der in Märchen nicht mal etwas absolutes hat, sondern aufhebbar ist, wie im Märchen vom Brüderchen und Schwesterchen, wo das Schwesterchen eigentlich ermordet ward, aber durch eheliche Fürsorge, Glaube und eben Märchenwunder wieder lebte, und das bis auf den heutigen Tag.
Nachdem mir selbst der Tod vorgestorben wurde dieses Jahr, wie man kaum würdiger ihn sich wünschen kann, der ehemalige Zeiss Chef seine Mutter verlor und meine beste Brieffreundin ebenfalls ihren Vater zu beklagen hat, als das letzte Elternteil, kann man sich entweder wie Epikur sagen, dass einen der eigene Tod nichts anginge, oder trotz der Weisheit der Griechen eben ein bisschen innovativ sein und sich trotzdem ein bisschen den Kopf darüber zerbrechen. Was man nicht selbst an sich heranlassen möchte, das bringen einem eben die Raunächte.
Man könnte sich wohl wünschen, dass einige Nahe darob in Tränen zerfließen und früher engagierte man eigens Klageweiber, alle abgrundhässlich, aber eben begabt, das Unglück recht anzuprangern, so recht zu jammern, als würde es sie sonstwie angehen. Der Traum allerdings hat andere Aspekte zum Inhalt. Es fliegt einem da der Rat zu, seine Verhältnisse geordnet zu hinterlassen, wozu wohl ein Testament nur ein dürftiger Behelf ist. Zunächst gilt es wohl, Probleme, die man selbst verursacht hat, auszuräumen und , was noch wichtiger ist, diejenigen, die den Staffelstab übernehmen, auf die Welt, die sie dann ohne mich erwartet, vorzubereiten. Wer hat schon gern zähneknirschende Erben, die sich in den Willen eines Verblichenen dreinschicken müssen. Sie werden nicht mehr danach fragen, was ich einfach nur vergessen haben könnte festzulegen und sie selbst noch richten könnten, sondern ihren Part möglichst mit wenigen Umständen an sich nehmen und dann den lieben Gott einen guten Mann sein lassen.
Neben diesen mehr moralischen Verpflichtungen gibt es den wichtigen Aspekt der schlichten Ordnung. Man kann sich nicht noch beschwerlicher machen, indem man ein Chaos hinterlässt, das ist wohl für das Leben ebenso wichtig wie für das Nachleben.
Das legten mir nun die unbekannten Stimmen, aber weibliche waren es allemal, in diesem Rautraum nahe.
Natürlich darf es etwas Wehmut sein, denn nicht nur jedem Anfang (Hermann Hesse), auch jedem Ende wohnt ein Zauber inne, und auf den Trümmern, die man wohl doch nur hinterlässt, grünt das eine oder andere Pflänzchen.
Christian Rempel, Zeuthen, den 26.12.2020