Von der Macht des Schweigens
Nichts ist zurückhaltender seine Missbilligung zu äußern als zu schweigen. Dieses Recht ist auch ausdrücklich einem Angeklagten zugebilligt, der selbst wenn er offenkundig schuldig ist, auf diese Macht setzen darf.
Den drastischsten Versuch in dieser Richtung hat bekanntermaßen Friedrich der Staufer unternommen, indem er Ammen verboten hatte mit den ihnen anvertrauten Babies zu sprechen, und die Wirkung der Macht dieses Schweigens war immens, denn diese Kinder starben.
Eine andere Methode des Schweigens besteht in der Einzelhaft, wo man dann schon sehr gefestigt sein muss, um sich mit seinem selbstgekerbten Strichekalender zu unterhalten oder wie der Schachspieler sich aus Brotteig geknetete Schachfiguren macht und gegen das Alleinsein ankämpft.
Allfällig ist auch das Schweigen als eheliches Erziehungsmittel, das dann nach Belieben für einige Tage aufrechterhalten werden kann, bis die Grenzen zwischen Unschuldigem und Schuldbeladenem nicht mehr auszumachen sind.
Dann gibt es allerdings auch noch das verständige, das gute Schweigen – einfach, weil einem nichts Vernünftiges einfällt, das es zu sagen gäbe. Davon könnten wir an mancher Stelle mehr gebrauchen, gerade wenn es um kompliziertere Sachen geht, aber wie hoch steht darüber noch das ehrliche Wort: Mir fällt nichts ein, aber ohne Worte wäre die Welt langweilig, wenn Du kannst, unterhalte mich doch ein bisschen.
Seit Oscar Wilde wissen wir, dass wahr ist, von dem auch das Gegenteil wahr ist. Das ist den Klassikern dann in die Dialektik geronnen. Auf die Macht des Schweigens bezogen, bedeutet das, dass sie gleichzeitig eine Ohnmacht ist, was dann den unendlichen Stoff der Psychologie abgibt. Man kann unter Umständen selbst gar nicht wissen, wenn man mal wieder schweigt, ob man gerade Macht ausübt oder einer Ohnmacht anheim gefallen ist.
Und so weit reicht die Macht des Schweigens auch wieder nicht, dass es einem auch noch einen Ausweg weisen würde. Es sei denn, man hat gelernt die Untätigkeit des Mundwerks zu ähnlichen Gedanken zu nutzen, wie sie uns ein Psychologe nahelegen würde, der ja auch kein Hexenwerk vollbringt, sondern oft mehr über das Leben und die typischen Fehler nachgedacht hat.
Nun sollte es aber so bleiben, dass die Mehrheit noch ohne Psychologen auskommt, was sich auch auf andere professionelle Lebenshilfen ausdehnen ließe, denn wenn diese überhand nähmen, müssten wir uns eingestehen, eine kränkere Gesellschaft zu sein als je zuvor.
Dabei sollten wir eine Gesellschaft von einigermaßen glücklichen Menschen sein. Oder was ich noch besser fände, danach streben, andere glücklich zu machen, denn Erkenntnis und Zufriedenheit kann man in mystischer Versenkung in sich selbst finden. Das Glück aber kommt immer von außen. GOtt, die Pflanze, das Tier sind darin freigiebig. Sind wir es denn auch?
Christian Rempel im Waltersdorfe 16.1.2022