Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Ich – der Geniemacher

Ich – der Geniemacher

In meinen Erinnerungen mischen sich die verschiedensten Sachen. Workshops, ja sog. Worldcafes, deren Inhalt nichts weiter ist als das verzweifelte Ankämpfen gegen bürokratische Vorschriften, die irgendwelche Idioten in die Welt setzen und sich dabei noch denken, sie hätten etwas für den Fortschritt getan. Dazu gibt es vegetarische Creationen, als hätten nun alle der Fleischeslust entsagt. Ein Heer von jungen Leuten, das auf der Welle des Abiturs für alle einigermaßen lustlos in die Unis geschwemmt worden war und jetzt auf Pöstchen sitzt, in denen Rede- und Selbstdarstellungsvermögen alles zu sein scheint. Dann noch die Reimkünstler, die es für die grandioseste Erfindung halten, wenn sich in einem Gedicht mal nichts reimt. Unter letzteren befand ich mich, Mal ganz anders als sonst, nicht dem schmalen Budget geschuldet in einer simplen Herberge, sondern einem Hotel mit gleich mehreren Konferenz-Suiten. Natürlich war auf keiner dieser Konferenzen etwas Wesentliches oder Überraschendes, die benachbarte war von Bauluden, denen es vor allem auf das Essen angekommen war und die ein Radio laut aufgedreht hatten. Dazu ist noch zu sagen, dass ich die sich Undichter nennenden Reimer schon jahrelang nicht gesehen hatte, ihre Evocationen nicht mehr las und sie mir demzufolge fast alle fremd geworden waren. Und Schrocke war nicht dabei und Liane nicht und auch nicht Sybill, bei der ich nicht mal mehr weiß, wo das y hingehört.

Ich war mit einem Freund dort und teilte das Zimmer mit ihm, das er in eine Art Obdachlosenschlafplatz verwandelt hatte und unentwegt ein selbstkomponiertes Lied übte. Sein Name ist Armin Kahle und ich habe noch keinen Menschen getroffen, der über mehr natürliche Intelligenz verfügt unter völliger Abwesenheit dessen, was man Bildung nennt. „Dein Haar bringt mich um den Verstand“, ging es in dem Lied. Natürlich war für ihn da keine Zeit zum konferieren und sein Outfit genügte nicht mal den dürftigen Ansprüchen der Undichter.

Ich also allein in den Konferenzraum, wo schon alle mit Rumstehen und small Talk gut beschäftigt, aber auch einigermaßen gelangweilt waren. Schrocke nicht dabei und Liane nicht, Gerhard zum Glück auch nicht und nicht der beharrliche und immer ein bisschen unpraktische Vorsitzende. Also eigentlich doch nicht die Undichter, sondern Jedermanns. Eigentlich erinnere ich mich nur an eine junge Frau, die sich mit freundlichem Erstaunen umwandte, als ich auf mich aufmerksam machte und in die Langeweile ein einmaliges Lifeereignis ankündigte. Die Worte weiß ich nicht mehr, aber es war auf gute Weise Aufsehen. Von draußen klang noch die Bauarbeiter Musik. Ich ging in aller Ruhe zu ihnen und drehte den Subwoofer leise, was die Luden auch geschehen ließen. Zurückgekehrt hatte das Aufsehen noch angehalten und ich griff einen hageren, älteren Mann heraus, nicht ohne schon eine gewisse Agressivitat. Ich befragte ihn: „Kennen Sie ein Genie?“ Er antwortete nicht, störte sich wohl auch am Aggressionstone und Verstocktheit zeichnete sich in sein Gesicht, aber er blieb jedenfalls redestehend neben mir. „Nicht einmal eins aus der Geschichte?“ Wieder keine Antwort, angestrengtes, widerwilliges Nachdenken. „Sie kommen nicht mal auf Albert Einstein?!“ Verstocktheit oder Ungewohntheit des Gedankengangs. In meiner Wut versagte ich mir, das aufzudröseln.

Nun war aber auf Hoffnung umzuschalten, denn es kann der Teil, der weder geplant noch vorhersehbar war und doch wie am Schnürchen lief, weil es wohl so etwas wie gnädige höhere Wesenheiten gibt. Ich kündigte ein derzeitiges Genie an, ist klar, wer das war. Und er erschien in einer glatten enganliegenden Hose, in der sich vor Stolz etwas abzeichnete, auch das erraten Sie und einem gemusterten Sweater, eben ganz ein selbstbewusstes Genie. Er strahlte und gab der atemanhaltenden Menge sogleich eine Kostprobe seiner Genialität. Er erklärte nämlich eine neuartige elektronische Kuckucksuhr, bei der das Pendel nicht einfach vor sich hinschwingt als Deko, sondern vollinhaltlich mit dem Herzstück verbunden. Der Kuckuck bedarf keines komplizierten Holzmechanismus, sondern wird durch Zugmagneten betätigt. Jedesmal wenn jemand das Wort Nachhaltigkeit oder klimaneutral in den Mund nimmt, kotzt er für sich ein bisschen ins Gehäuse, das daher gigantisch dimensioniert werden muss und durch Quantenverschränkung nur geleert werden kann. Dazu sind die oben genannten Wesenheiten da.

Und auch meine Brust schwillt ein bisschen an, obwohl mich keiner mehr wahrnimmt und alle Blicke auf Armin gerichtet sind, der sich sonnt in seiner Sternstunde.

Er ist ein Genie und ich habe ihn darauf gebracht – und entdeckt.

C.R. 10.5.2022