Der Gedichtladen

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Strandkorblektüre

Strandkorblektüre

Auch wenn man den Film gesehen hat und sogar, wenn Sie diese Zeilen gelesen haben, kann man Small World von Martin Suter noch als Urlaubslektüre empfehlen. Dabei versuche ich zuerst, mir klarzuwerden, was eine mir nahestehende junge Frau nicht an ihm mag, dass er vielleicht allzu oft das Geld ins Spiel bringt, das dann allerdings doch Möglichkeiten der Gestaltung eröffnet, die einem sonst verschlossen sind. Quasi unerschöpfliche Fonds sind die Voraussetzung für Möglichkeiten, wie sie sich einem armen Schlucker nicht eröffnen können und somit zur Dramatisierung des Stoffes doch sehr hilfreich.

Die Hauptperson von Small World ist ein in die Jahre gekommener Mann, der von der etwas unverständlichen Gnade einer Fabrikantendynastie lebt, dort nur sehr einfache Gelegenheitsjobs auszuführen hat, die er zudem noch sehr halbherzig absolviert. Auch ist er dem Alkohol verfallen, aber man ahnt an den Suterschen Details, denen eine Vorliebe für Garderobe, Drinks und ausgefallenem Essen eigen ist, dass an diesem verkommenen und ausgehaltenem Typen mehr ist als an einem Parasiten.

Die Symptome von Alkoholikertum und Alzheimer ähneln sich ja und kunstvoll beschreibt er deren nahtlosen Übergang. Man nimmt das Sympathiepotenzial mit über die verschiedenen Phasen und am Anfang nimmt sich seiner sogar eine bemittelte Frau an, die alleinstehend ist und für ihr Alter attraktiv. Es wird auch schön deutlich, wie sich dann eine Familienangehörige um ihn kümmert – ein schönes Bild der gehobenen schweizerischen Gesellschaft. Alle, die an ihm zerbrechen oder sogar durch seine Hinfälligkeit in ihrer Hilfsbereitschaft bestärkt sind, werden zu Mosaiksteinen seines Weges zur Wahrheit, der nun allerdings eben eines wesentlichen materiellen und personellen Aufwands bedarf. Dass diese Wahrheit ebenso überraschend wie das eigene Einfühlungsvermögen fordernd ist, dafür ist es eben ein Krimi.

Nach Recht und Gesetz gibt es keine Schuldigen mehr, obwohl mehrere Verbrechen vorlagen, aber es spricht eben wieder für die schweizer Akteure, dass sich die Moral noch als stärker erweist als das Gesetz, das eher auf die vernünftige Verwaltung von Vermögenswerten ausgerichtet ist als den involvierten Personen zum Recht zu verhelfen, wie Suter, wahrscheinlich zur eigenen Überraschung, recherchiert hat.

Der Alzheimererkrankte ist jedenfalls der unbestrittene Held des Ganzen, obwohl er veranlasst und das Glück hat, dass ihm diese kleine Welt geschaffen wurde, die einem gutgeführten Privathospital gleicht, aber dieses, sein Recht schwelte eben in seinem Unterbewusstsein und gar so krank ist er dann doch nicht, was die Fachwelt dann als Flaggschiff ihrer Erfolge zu feiern nicht ansteht. Diese Vielschichtigkeit des Alterns, das doch heute auch ein entscheidendes gesellschaftliches Phänomen ist, bildet Suter hervorragend ab und es findet sich in der Multikultischweiz auch eine tamilische Schwester, die aus einer Kultur kommt, wo den alten Menschen besondere Wertschätzung entgegengebracht wird und dieser bemerkenswerte kulturelle Impetus rettet dem Protagonisten dann auch das Leben.

Ob sich Martin Suter auf diese Art selbst gegen das Alter wappnet, dass er die Message so wichtig fand, dass er auf den Rat seiner Frau hin das ganze Buch noch einmal geschrieben hat – wer weiß.

C.R. auf Karsibor 11.8.2022