Traum im Traumhaus
Ich weiß nicht, ob es schon wieder ein Anflug von Euphorie ist, aber eben träumte mir von den Familienfronten der im Krieg befindlichen Rempelei. Größenwahn war dabei, dass ich auch noch meiner Mutters Koppel erworben hatte, aber keiner recht darüber im Bilde war. Das ist ein dreieckiges großes Grundstück, das jetzt schon lange bebaut ist, aber in meinem Traum noch die Schafweide, Auslauf für das Federvieh und Hobbyfußballplatz war.
Eines Tages begann dort und auf dem Grundstück, das inzwischen meine älteren Brüder ja auch wirklich erworben hatten, ein für heutige Verhältnisse unwahrscheinliches Baugeschehen, das sicher von meinem jüngeren Bruder initiiert war und alle meine verkrachten Geschwister waren beteiligt, ließen in nur zwei Tagen einen Betonbau entstehen und noch einen kleineren auf dem eigenen Grundstück meiner beiden älteren Brüder. Die Straßenfront war sozusagen zugebaut.
Ich meinerseits wohnte mit ein paar Getreuen in der 38, eben dem malerischen Schweizerhaus. Eine Frau als Bedenkenträger und immer an allem Zweifelnde und zwei Männer in den besten Jahren, Oleg und Achmed. Letzterer sprach kein Deutsch, aber war wie Oleg, dem einzigen Gesprächigen, an meinen Erwerbungen beteiligt. In welchem Prozentsatz wussten beide selber nicht. Sie ritten für gewöhnlich auf Pferden und packten überall zu, wo etwas zu tun war. L38 hatte auch beachtliche Dimensionen angenommen und man konnte hier und da auf dem Grundstück einen Reisebus parken, den wir auch schon unser eigen nannten in Erwartung weiteren Zulaufs für unser Lebenskonzept. Das bestand allerdings erst mal darin, das Dinge geschahen, von denen ich selbst keine Ahnubg hatte, ich eines Tages zurück zum Haus kam und erwas fehlte. Es stellte sich nach einiger Überlegung und einigen Nachfragen heraus, dass es die beiden Balkontreppen waren, die zur Reparatur demontiert waren.
Natürlich war ich auch ein bisschen neugierig, was die Bestimmung des Komplexes auf der anderen Straßenseite war und schlenderte ein bisschen dort durch die Reste der verbliebenen Natur.
Die vordere Front in der zweiten Etage des breiten Gebäudes mit drei Geschossen war eine durchgehende Fensterzeile, hinter der sich sicher ein Großraumbüro verbarg. Ich konnte wahrnehmen wie mein ältester Bruder einen Chefsessel probeweise in Besitz nahm. Alle waren zufrieden mit diesem naturverdrängenden Bauwerk und ich blieb bei meiner Inspektion unbemerkt, wurde sogar Zeuge einer Bemerkung meines jüngeren Bruders, dass sie wohl keine Baugenehmigung hätten, weil der Besitzer des Grundstücks noch nicht zugestimmt hätte. Doch das war ja ich und mein Rechtsverständnis regte sich, dass ja dann Veränderungen an dem Grundstück, und seien es sündhaft teure Bauten, in mein Eigentum übergingen.
Mit dieser Auffassung kehrte ich über die Straße in L38 zurück, wo ich es mit der BedenkenträgerIn zu tun bekam, die einen Zeitungsartikel herauszog, in dem Brandenburger Recht erläutert war, nach dem nur eine Entschädigung von 25 000 Euro anstünde. Das war doch bei meinen finanziellen Kalamitäten immerhin auch schon was.
Wir machten uns, Oleg, Achmed und ich auf den Weg zu meiner verkrachten Schwester, die, da sie wieder die Verwaltungsdinge übernommen hatte, auch in dem Komplex wohnte. Sie ließ aber nur meine beiden Teilhaber ein und mich nicht. Es lohnte sich nicht zu fragen, was sie mit ihnen besprochen hatte. Sie knisterten mit ein paar Scheinen, die sicher auch nicht der Rede wert waren.
Ich weiß bis heute nicht, wie viel Prozent Oleg und Achmed haben und ging weiter meinen Familiendingen nach. Denn in diesem niegelnagelneuen Komplex wohnte auch meine verlorene Tochter. Dort wurde ich freundlich hereingebeten und, obwohl ich auf Dankbarkeit gestimmt war, hatte ich den Schneid, die braunen Blumentapeten zu monieren und alles war wie weggeblasen, als auch noch ihr Freund auftauchte, dem ich überschwänglich zu seinen gelungenen Kindern gratulierte und mit einem Augenzwinkern den Witz machte, dass ja das Kindererzeugen auch eine recht vergnügliche Sache sei und einen der Ernst des Lebens als Vater dann erst mit den Spätfolgen ereilt. In Wirklichkeit ist meine verlorene Tochter naturverbunden und hat einen guten Geschmack.
Nun wieder im L38 machte sich eine andere dringende Stimme bemerkbar, die meiner Lebensgefährtin, die stante pede an die Ostsee fahren wollte. Ich hatte gerade noch Zeit für drei Dinge: Festzustellen, dass doch gar keine Ferien waren, mit dem reitendenden Oleg zu vereinbaren, dass er endgültig zu mir zöge und meiner Elfe zuzusehen, wie sie – einer Kinderdrohne gleich – und unter Absäbelung trockener Zweige durch das Geäst zu mir schwebte und sagte: „Vertrau auf Orpheus. Leg Dich in seine starken Arme und träume einen Traum, den Du sogleich, und sei es mitten in der Nacht, aufschreiben sollst. Schere Dich nicht um die Ratschläge, dass das alles irrelevant sei und nicht in die Öffentlichkeit gehöre, denn diese gibt es in Wirklichkeit gar nicht. Du hast nur wenige, heimliche Leser, die darauf warten, wie Du Dich wohl aus den Verstrickungen lösen wirst. Sei guten Mutes.“ Darauf flog sie wieder davon und ich tat wie immer wie mir geheißen.
CER 12.5.24