Unterrichtsstunde im Advent
„Ikea ist doch eigentlich ein Firmenname, fast ein Palindrom eines männlichen aus der Bibel, nicht“?, sagte ich zu einer Schülerin, die das sogleich relativierte. Er stünde für einen weiblichen wie männlichen Namen. Sie war eine der zehn Schüler, mit denen ich zu tun hatte. Es war Adventszeit und sollte Kakao zur Feier des dritten Advent geben, wofür allerdings nur acht Tassen zur Verfügung standen. Das Labor sollte ein Königreich werden und später mal einem richtigen Königreich angehören, in dem dann die Geheimforschungen betrieben werden, die unabdingbar sind.
Der Aufstand gegen die herrschende Ordung wurde mittels eines Adventskranzes geprobt, an dem dann auch im Verlauf einer halben Stunde eine bahnbrechende Entdeckung gemacht wurde, die nicht weniger beseitigt als das Energieproblem und endlich die einzige saubere Energiequelle zur Verfügung stellt.
Aber es ist noch mehr verloren im Land der Dichter und Denker. In diesem Fall das Wintermärchen, das ich zur Prüfungsfrage machte. Es sollte für jede richtige Zeile des Vierzeilers eine Kerze angezündet werden, was dann gleich zur ersten Palastrevolution im neugegründeten Königreich führte.
Die erste Zeile gab ich vor:
Es gibt hinieden Brot genug …
Da wurden schon die Handies gezückt und es erfolgte meinerseits ein Handyverbot. Da man sich nicht anders zu helfen wusste, griff man zum Feuerzeug und entzündete alle drei Kerzen.
Dabei hätte ich es gut gefunden, hätte man Harry Heine ausreden lassen:
Es gibt hinieden Brot genug
Für alle Menschenkinder
Auch Rosen, Myrten, Schönheit und Lust
Und Zuckererbsen nicht minder …
Der geneigte Leser wird das fortsetzen können, aber da nun einmal die drei Kerzen brannten, sollte es ans Kakaotrinken gehen und nebenbei der Schwur geleistet werden, den Dauphin zu schützen, der selbst nicht anwesend war, aber eine Braut und sieben Granden haben sollte, was gerade mit den acht Tassen zu bewältigen war. Anwesend waren allerdings zehn und ich fragte mich schon das ganze Schulhalbjahr, warum keiner von ihnen mal krank wurde. Auch jetzt fühlte sich keiner auf Nachfrage krank, aber einige hegten den Wunsch, dem Unterricht fernzubleiben und nach Hause zu gehen, zumal es die letzte Stunde vor Weihnachten war. Ich ließ sie es unter sich ausmachen und endlich waren wir mit mir nur noch neun.
Die Granden hatten natürlich nicht die Bohne verstanden, wer der Dauphin sein sollte und was ihre Aufgabe eigentlich war. Auch warum sie das Labor, das vorerst das ganze Königreich darstellte, vermessen sollten, blieb ihnen ein Rätsel und sie erinnerten sich an den Film Die Welle und bekamen es etwas mit der Angst.
Auch der Name des Dauphins war geheim und sollte nur Ikea zur Kenntnis kommen. Selbst er selbst sollte nicht wissen, dass er dieses ans Himmlische Grenzende innehat. Aber auch das ging schief und irgendwie bekamen es die schon schlotternden Granden dann doch heraus und hielten sich auch nicht an das Handyverbot, was ich allerdings, man bedenke, ich war der Geisteseinschränkung nahe, nicht bemerkte, sondern mir erst Meister Max später steckte.
Ich sagte nun, dass in fünf Minuten ein richtiger Lehrer eintreten würde und wir vorher noch schnell eine Entdeckung machen sollten. Leider war Noah unter den vorzeitig Gegangenen, sonst hätte wahrscheinlich er die Entdeckung der kalten Fusion gemacht, die tatsächlich fast auf den Tag genau, allerdings als Fake, 35 Jahre zuvor an der Universität von Utah gelang, zu einer Zeit also, als die Zeitenwende nicht mehr ein Jahr auf sich warten ließ und alle meine Schüler noch lange nicht auf der Welt waren. Ich hielt also an Noahs statt geraume Zeit die flache Hand über eine der verbotenen Kerzenflammen, wie früher jene, die für einen guten Freund die Hand ins Feuer legen und dachte dabei an Noah, wie lange er wohl standgehalten hätte. Ich sage Ihnen, wenn man reinen Herzens ist, an die Wahrheit eines jungen Freundes und die Möglichkeit der kalten Fusion glaubt, kann man das aushalten und der Schmerz würde graduell nachlassen. Alle hielten das für einen Trick, nur Ikea hielt kurz ihre Hand über die Flamme und zog sie gleich wieder zurück.
Dann kam wirklich der Moment, wo der richtige Lehrer hereinkam und gelassen die nochmalige Demonstration der kalten Fusion hinnahm. Auch er hatte einen Trick drauf und zog rasch einmal den Finger durch die Flamme und rügte die Ordnungswidrigkeit des ganzen Vorgangs, aber nicht so erst, als dass man ihn für einen EU Bürokraten hätte halten müssen. „Sollte es sich nicht um die kalte Fusion handeln, wie damals“, sagte ich, „so doch um eine Flamme, die ganz so aussieht, wie eine echte, aber denen reinen Herzens nichts anhat.“
Dann wurde die Krone verborgen, denn wenigstens vom Dauphin sollte keiner was wissen, wie auch nicht vom neuvermessenen Königreich und es wurde dafür ein Name gesucht und letztlich der Vorschlag Ikeas angenommen: LHI Labor der Heiligen Ingenieure.
Dann stellte ich den Granden und Ikea noch drei Aufgaben:
1. Sie sollten in due Forstallee Nr. 13 gehen und einen Schirm abholen, den ich bei einer Andacht vor dem Grundstück hatte stehen lassen.
2. Sie sollten den Adventskranz zu der vietnamesischen Blumenladenbesitzerin bringen und dafür 20 Euro entgegennehmen und sich nebenher nach dem Sterbejahr von Ho erkundigen und wann der Vietnamkrieg zuende gegangen war.
3. Sollten sie mir den Schlüssel zum LHI wiederbringen, den ich ihnen bis zum Ende der Unterrichtsstunde überließ.
Was aus dieser Geschichte wurde, die sich vor undenkbar langen Zeiten zutrug entnehmen sie bitte der Schulchronik bzw. meiner Disziplinarakte.
CER den 1.8.2024