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République des Lettres

République des Lettres

Dieser Begriff wurde im 17. und 18. Jahrhundert geprägt und soll soviel besagen wie Gelehrtenrepublik. Man kann diese Wortschöpfung an keinem Einzelnen festmachen, wohl weil sich damals keiner hervortun wollte, was man von heutigen Politikern, die dieses Geschäft übernommen haben, nicht sagen kann und ihnen doch auch bei Strafe des Untergangs nicht gegeben ist. Genauer übersetzt bedeutet dieses Worttrio allerdings: Republik der Briefe. Tatsächlich hatten sich Gelehrte in jenen Zeiten auch sehr über Briefe verständigt, was heute unter den einfachen Menschen durch oft rudimentäre Kommentare geschieht oder auch ausufernder Abhandlungen, die alle nur den Autor selbst überzeugen bzw. ihm Spaß machen und oft von Außenstehenden als Zeitverschwendung angesehen werden.

Ich habe es selbst mit Politikern versucht, ihnen einen Brief zu schreiben, aber erhielt in der Regel keine Antwort, oder wenn, dann nach einem halben Jahr und recht nichtssagend. Dabei gibt es Traditionen, gerade in Deutschland, wo sich die zwar adlige, aber nach heutigen Maßstäben unbedeutende Bettina von Arnim an den preußischen König wandte und der nicht nur im Bilde war über die Romantik seiner Zeit, sondern auch antwortete. Ein Otto von Bismarck hat es nicht nur bei Reden belassen, sondern das Deutsche Reich durch Briefe herbeigeschrieben, die er an die Oberhäupter der kleinen Staaten sandte. So sicherte er den Bayern den Beibehalt ihrer eigenen Briefmarken zu – ein Zugeständnis, über das man heute lächeln könnte.

Doch nun zu einem Buch von der bekannten Ulrike Guérot und Hauke Ritz „Endspurt Europa“, das viele Details der Entwicklung oder besser des Scheiterns der politischen Einigung in Europe darlegt und dabei insbesondere die kriegerischen Auseinandersetzungen im Blick hat. Ihr Glaube an intellektuelle Bewältigung aller Probleme scheint unerschütterlich und da bleibt es nicht aus, dass sie auch zuweilen das Gras wachsen hört. Sie entwirft mutig ein Ideal eines föderierten Europas von Lissabon bis Wladiwostok, und das unter dem Eindruck des Ukrainekrieges, denn ihr Buch erschien im Herbst 2022.

Dieses Problem, so meint sie, könne man quasi unter uns, unter Ausschluss der USA lösen, deren thinktanks ihr ein bisschen das Fürchten lehren. Im jetzigen Zustand befänden wir uns voll unter dem Einfluss der USA, die naturgemäß andere Interessen haben als wir.

Ein Kapitel ist allerdings auch der europäischen Kultur gewidmet und der kulturellen Autonomie, was schon zu Bismarcks Zeiten die Achillesferse einer Föderation gewesen ist und neben Geld- und Kapitalflüssen, die dann wiederum im Verdacht stehen, wenn einer der Partner reich ist und zahlt, dass das wieder Hegemoniebestrebungen geschuldet ist. Die Autonomie auf das Bildungswesen auszudehnen, wie in der aktuellen Bundesrepublik, kann man getrost als gescheitert ansehen.

In der heutigen Verfassung Europas hatte man versucht, alles mit Geld zu regeln, was mit Geld zu regeln schien, aber schon an der Bildung muss das scheitern. In der Kunst und im alltäglichen Leben sehen wir einige Alltags- und Kunstobjekte, die europäisch gefördert wurden. Doch schaut man hinter die Fassaden, so entstanden sie durch komplizierte Antrags- und Ausschreibungsverfahren. Die Bürokratie ist etwas, an dem schon andere Gesellschaftssysteme scheiterten.

Was das Geistesschaffen anbelangt, so fehlt es einfach an den anerkannten Persönlichkeiten, die da nicht mehr durchdringen können. Wollte man nach Pablo Picasso fragen, wer heute die berühmtesten Maler oder Komponisten sind in Europa, man wäre verlegen.

Andererseits gibt es an jedem Ort inzwischen ernstzunehmende kleine Künstler, die noch nicht einmal einer systematischen Ausbildung bedurften. Im ganz kleinen gibt es also viel Ambitionen.

Kann man ein Buch schon zur République des Lettres rechnen? Es wendet sich immerhin aufklärend an die kleinere Gemeinde, die ausgerechnet das wissen möchte, was drinsteht. Die Autoren beziehen sich auch darauf, dass dies ein Essay ist, also ein Versuch. In diesem Fall ein Versuch, andere zu überzeugen. Das Briefeschreiben ist ein viel mühsameres Unterfangen, wenn man sich jeweils an einen Menschen wendet. Realistisch erscheint es aber dadurch, dass wenn das eine Massenerscheinung wäre, für jeden ein überschaubarer Aufwand entstünde. Mir kommt das jedenfalls fruchtbarer vor als mündliche Anfeindungen, wie sie heute üblich sind, wo keiner dem anderen zuhört oder ihn auch nur ausreden lässt.

Alles lässt sich nicht durch noch so scharfsinniges Denken lösen. Es bedarf der Akteure, die wir in der Politik noch zu verzeichnen haben, aber ich würde sie mir markanter in Kunst und Kultur wünschen. Und die Kultur beginnt dort, wo man auf einen Brief (lettre) eine Antwort bekommt.

CER 17.11.2024