Einigendes
Stellen Sie sich vor, man würde den Bundestagshickhack mal dadurch unterbrechen, indem man heute zum Beispiel des hundertsten Jahrestages der Erscheinung des Zauberbergs von Thomas Mann gedächte. Oder man stellte in einer aktuellen Stunde jeweils sein Lieblingsbuch vor. Oder man berichtete davon, von welchen Philosophen man was nun gerade besonders bedenkenswert findet.
Das alles beschwört ein Reich, das wir ein Reich der Kultur und der geistigen Ideen nennen könnten. Und wäre auch so etwas vorstellbar wie ein Ball des Bundestages, wo man mal ermessen könnte, ob man die couragierte Alice Weidel auch im Tanz führen könnte und Frau Beerbock eine gewagte Volte mit Herrn Merz hinlegte. Oder eine Faschingsfeier, wo man statt der Diskussionsbeiträge Büttenreden hielte (Der Unterschied zum heutigen Laienkomikertreffen wäre nur ein feiner). Wer wäre da wohl der begabteste Büttenredner und würden mal alle, über die Fraktionsgrenzen hinweg lachen können, quasi über sich selbst.
Man kann die beobachtbare Verbissenheit nur durch entsprechende psychologisch wertvolle Spielchen ausgleichen wie eine Familienaufstellung. Oder den Managermethoden eines Brainstorming Lehrgangs, bei dem alle Abgeordneten gleich wären, zum Beispiel dass sie aus einem einzigen Bogen Papier und einer Tube Leim einen möglichst hohen Turm bauen sollten und kleine Beweise ihrer Kreativität ablegen könnten.
Wie die Diskussion zur République des Lettres gezeigt hat, gilt es ja durch schöpferischen Austausch wieder mal ein Ideengebäude zu errichten, das die Akteure als wichtiger ansehen könnten als ihre Pöstchen in der Regierung oder dem versuchten Ausschalten von politischen Gegnern.
Man muss den zeitweise ja besorgniserregend für den Westen aufsteigenden Kommunisten ja zugute halten, dass sie über ein zeitweise funktionierendes solches Ideengebäude verfügten, wenn sie auch zu engherzig waren und dessen Weiterentwicklung durch lebendigen Diskurs nach Kräften zu unterdrücken und es ihnen auch an Humor mangelte für solche von mir oben angeregte Büttenreden, wobei man nicht vergessen darf, dass ihnen ob der Anfeindungen der Humor auch leicht vergehen konnte.
Wenn dann Olaf Scholz nach dem Tanz mit Alice Weidel nach verklingender Musik noch Hand in Hand dastehen, was würden sie sich sagen? Wer käme auf die Idee, einem anderen Politiker, aus einer ganz anderen Fraktion ein Weihnachtsgeschenk zu machen, das dessen Einsatz und sein beschädigtes Nervenkostüm wieder gut macht? Sind die Kinderbücher von Robert Habeck es wirklich wert, dass wir sie unseren Kindern vorlesen? Ist nicht die ganze grüne Soße nicht mehr als ein Aspekt der allgemeinen Idee von der Natur, die wir über uns schweben lassen sollten?
Die Natur hat uns hervorgebracht, auf dass jeder seine Aufgabe finde und diese zu deren Ziel einsetzt. Sie will vielleicht nicht nur erhalten sein, sondern auch vervollkommnet. Sie ist vielleicht aufgeschlossen, dass sie nicht nur geschützt sein möchte, sondern auch verändert, in aller Verantwortlichkeit. Müssen wir Angst haben vor Genetic Engineering, oder ist das nur die Angstmache von Fortschrittsfeinden.
Und welche Rolle spielt Gott gegenüber der Natur? Sind da nicht die Theologen aufgerufen, sich da hineinzudenken?
Man hat vor zwanzig Jahren viel Energie darauf verwendet, eine Europäische Verfassung zustande zu bringen. Nach unserem Verständnis ist das ein Grundgesetz und einigermaßen unumstößlich, was doch aber der zweite Schritt ist. Erst einmal muss doch eine Idee da sein, die sich auf so eine einfache und eingängige Formel bringen lässt, wie seinerzeit „Liberté, Égalité, Fraternité“. Dem ist bis heute noch nichts hinzuzufügen, auch wenn es um diese Werte immer noch schlecht steht.
So lobenswert es ist, dass der scheidende Bundeskanzler zum Telefonhörer gegriffen hat, um Wladimir Putin anzurufen – ein Brief wäre besser gewesen. Aber dafür ist es ja auch noch nicht zu spät.
CER 20.11.2024