Der Gedichtladen

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Die Troika

Die Troika

Ich habe ja letztens Die Brüder Karamasow von Dostojewski gelesen. Dieser psychologisierende Schriftsteller hatte sich ja viel in westeuropäischen Ländern aufgehalten und ist auch nicht sonderlich alt geworden. Viele seiner Romane sind einigermaßen blutrünstig, kommen kaum ohne einen demonstrativen und brutalen Mord aus und auch ein solcher steht im Mittelpunkt des o. a. Romans. Die drei Brüder, oder vielleicht sind es auch vier, die bis auf den eventuellen schon aus dem Haus sind, sind recht verschieden. Dieser eventuelle ist ein Diener, der aus Reue über einen eventuellen Fehltritt des Vaters, der in diesem Falle zu Tode kommt, in das Haus als Koch und Leibdiener aufgenommen wurde. Der Vater hatte sich um keinen der Kinder gekümmert, die freilich dann auch ein recht distanziertes Verhältnis zum Vater aufgebaut hatten. Der Diener stammte von einer stadtbekannten, und der Roman spielt auch in einer russischen Kleinstadt, also einer stadtbekannten Bettlerin, die als die Stinkende verschrien war.

Auch die drei legitimen Söhne stammen von zwei Müttern ab und sind sehr unterschiedlich. Der Älteste, der dann seinen Vater ermordet, so will es auch mir einleuchten, auch wenn der Schriftsteller das im Ungewissen lässt, hat einen Erbteil vom Vater, ist leidenschaftlich und draufgängerisch, während man im zweiten einen typischen Intellektuellen wiederfindet und der dritte fühlt sich zum Mönchsein hingezogen und ist die eigentliche Hauptfigur, nicht nur was den Umfang des Buches anbelangt, das ihm gewidmet ist, sondern auch, was dessen Anteil an der russischen Seele betrifft, die zu ergründen ich mich mal wieder aufgemacht hatte, um auch die Gegenwart besser zu verstehen. Unser Atheismus geht ja so weit, dass wir belächeln, dass 80 % der Russen heute gläubig sind.

Der Älteste, Dimitri, verkörpert eine Seite, nämlich die leidenschaftliche Verehrung einer Frau, die mit seinen Gefühlen ihren Schabernack treibt und er annehmen muss, dass sie ihm der eigene Vater streitig macht, der bereits eine Summe Geldes für sie bereitgelegt hat, was dann Dimitri von dem vermeintlichen Sohn Nummer vier gesteckt wird. Die Übergabe des Geldes an die von Vater und Sohn Geliebte soll anlässlich ihres Besuchs bei dem Alten stattfinden, was den ältesten Sohn bewog, am Vaterhaus Wache zu schieben.

Schließlich kulminiert dann alles in der Mordnacht, nicht aber der Roman, der die entscheidenden Momente auslässt. Der folgende Prozess gegen Dimitri ist der eigentliche Höhe- und Schlusspunkt. Dieser erregt angeblich die ganze Öffentlichkeit in Russland. Der Staatsanwalt und die Geschworenen sind Ortsansässige, während der Verteidiger aus Petersburg herbeigeholt wurde von der einigermaßen betuchten und zugunsten der Geliebten sitzengelassenen Braut Dimitris.

In den Plädoyers kommt noch mal die russische Seele zum Tragen, wie sie sich bis in die Gegenwart wohl erhalten hat. Da ist das Bedauern, dass der stadtbekannte und aufopferungsbereite Arzt ein Ausländer sei. Da ruft der provinzielle Staatswalt das Bild einer russischen Troika auf, die daherprescht und die Völker achtungsvoll zurückweichen. Dieses Bild greift dann der Petersburger Verteidiger ganz zum Schluss seiner Rede auf und spricht dagegen von einem majestätischen russischen Triumphgefährt, das gelassen zu seinem Ziel gelangt.

Das klingt alles beides nicht nach einem Volk, das verstritten und zweifelnd nach ein bisschen Patriotismus mit der Lupe sucht, aber die Macht der Worte: „Und nicht über und nicht unter/ andern Völkern woll’n wir sein“ hat sich auch schon abgenutzt. Wir trauen uns nicht mal mehr, in der Vergangenheit danach zu suchen, und das, ohne dabei eventuelle Lehren aus der Vergangenheit zu vergessen. So sind wir aus der Zeit gefallen.

CER 30.3.25